Ist das Kunst oder kann das weg?

…diese Frage beantworteten in der Kunstgeschichte schon einige Menschen mit letzterer Einschätzung: Längst ist es nicht nur Beuys‘ bekannte Fettecke, die 1986 von einer pflichtbewussten Putzkraft entfernt wurde, nein, schon Jahre vorher hatten zwei eifrige Genossinnen des SPD-Ortsvereins Leverkusen-Alkenrath sein Werk „Unbetitelt (Badewanne)“ einem sinnvolleren Einsatz als Spülbecken zugeführt. Wenn’s doch nottat…

Zahllose Beispiele von bewusster oder unbewusster Kunstzerstörung finden sich in einem hochinteressanten Spiegelbeitrag *; unter anderem auch verunglückte Restaurierungsversuche wie zuletzt und sehr spektakulär der Fall der spanischen Rentnerin, die vor sechs Jahren ein Fresco des bis dato relativ unbekannten Malers Elías García Martínez glaubte zu restaurieren, es dabei völlig entstellte und den Maler erst damit einer breiten Öffentlichkeit bekanntmachte. Schaffte sie damit jetzt Kunst, neue Kunst vielleicht sogar, oder hatte sie ein Werk zerstört? Oder die andere Geschichte von der alten Dame, die sich von der Aufforderung „Insert Words“ an einem Kreuzworträtsel-Kunstwerk derart angesprochen fühlte, dass sie, nicht zuletzt weil sie wohl zufälligerweise die Antworten wusste, die dem Künstler offenbar gefehlt hatten, dieser ruckzuck nachkam, weshalb am Ende die Kripo ermittelte und die Versicherungssumme von 80.000 Euro fällig wurde.

Wenn Sie jetzt aufmerksam gelesen haben, stellen Sie fest, dass es sich zumindest bei den hiergenannten Kunstzerstörern allesamt um Kunstzerstörerinnen handelt. Wollen die Frauen sich etwa heimlich rächen, weil sie – wie überall wo es um das große Geld geht – auch in der Kunst kaum vorkommen? Verstehen könnt‘ ich‘s ja.

Ich zum Beispiel frage mich andauernd, ob nicht mein Alltag voller Kunst ist und ich eine total verkannte Work-in-Progress-Vertreterin bin. Meine kleine hausinterne Ausstellung beginnt direkt an der Haustür, das erste Exponat: ein Haufen Schuhe.

„Die Künstlergruppe rund um Traudi Schlitt will mit dieser Arbeit verdeutlichen, dass menschliches Leben aus einem einzigen Kommen und Gehen besteht – der Bezug von Haustür und Schuhen spricht hier eine eindeutige Sprache, ganz in der philosophischen Tradition Immanuel Kants, der sich in seinem Œuvre permanent der Frage des Kommens und Gehens gegenübersah. Widmet man der Installation einen tieferen Blick, offenbart sich deren Themenvielfalt: Der unterschiedliche Abnutzungsgrad der im Werk verarbeiteten Schuhe verweist auf die Ungerechtigkeiten innerhalb einer Gesellschaft, für deren Verflechtungen und Strukturen eine Familie geradezu archetypisch steht. Manche Menschen müssen sich mehr anstrengen, um an der gleichen Stelle anzukommen, anderen wiederum wird Erfolg einfach so hinterhergeworfen – sinnbildlich dafür steht das seitlich errichtete Zalando-Paket, das – wie der Betrachter vermuten darf – die neuesten und am wenigsten abgenutzten Schuhe enthält. Doch dürfen sie bleiben? Was kommt? Was geht? Auf diese metaphysische Ebene gebracht, wird das Zalando-Paket zur zentralen Aussage der Installation erhoben, im Kontext mit den am meisten abgetragenen Schuhen, die gleichsam denen eines unterbezahlten Hermes-Zustellers nicht unähnlich sind und eine massive Konsum- und Kapitalismuskritik implizieren.“

Noch Fragen? Vielleicht zu der Kombination aus Ladekabeln, Medikamenten und Feuerzeugen auf unserer Anrichte? Oder den Essensresten einer Woche? Es gibt demnach durchaus noch mehr solche Kunst bei uns, allerdings sind wir weder Galerie noch Museum. Dort, genauer gesagt im MMK, dem Museum für Moderne Kunst, schaute ich mir vor kurzem eine Ausstellung an mit dem Titel „I am a Problem.“ Sie hangelte sich an großen schwarzen, den Bandwurm von Maria Callas symbolisierenden Röhren entlang und ich fand, mit der titelgebenden Aussage könne die Ausstellung nur sich selbst gemeint haben. Als aufgeschlossene Person versuchte ich, gemeinsam mit meiner Freundin bei jedem Objekt den tieferen Sinn zu ergründen – meist gelang es, auch weil viele interessante Erklärungen dabei waren. Aber als ich so eine blaue Plastikfolie auf dem Boden sah, die aussah, als hätten die Handwerker sie vergessen, die aber auch ein kleines Kärtchen mit Titel und Künstler hatte, da fragte ich mich dann doch, was es wohl genau ist, was Kunst zur Kunst macht? Reicht schon die Idee, dass etwas Kunst sein könnte? Und wenn ja, wie finde ich jemanden, der meine Idee ausstellenswert findet und mir am Ende noch 5.000 Euro dafür gibt? Oder mehr? Wieso ist eine blaue Plane auf dem Museumfußboden Kunst und bei uns zuhause ein vergessener Müllbeutel? Wieso ist die Venus von Willendorf mehr wert als meine Tonzwerge aus dem Workshop der Brüder-Grimm-Schule?

Apropos Schule: Letztens war ich auf einer Vernissage von Kindergartenkinderbildern. Die meisten davon überstiegen das Niveau, auf dem ich male, bei weitem. Manche davon hätten frühe Picassos oder Kandinskys sein können – will sagen: Sie zeichneten sich durch einen hohen Abstraktionsgrad aus. Man konnte sie kaufen, doch ich erstand keines davon, hatte ich doch früher, als mein Erstgeborener mit seinen ersten Kindergartenwerken nachhause kam, diese immer gleich in einem vermeintlich unbeachteten Moment direkt entsorgt. Ich hatte halt schon immer meine eigene Vorstellung von ästhetischer Wohnraumgestaltung und die Krickelbilder aus dem Kindergarten passten da definitiv nicht dazu.

„Schmeißt du das jetzt gleich wieder weg?“, fragte mich mein kleiner Sohn schließlich eines Tages mit großen Augen, als er wieder mal ein schönes Stück Kita-Art mit nachhause brachte. Seit ich Mutter bin, übe ich mich permanent im Mich-schlecht-und-und-ungerecht-Fühlen. Dieser Moment war eine Sternstunde dieser Disziplin, und ich beschloss, alles, was aus der Sternengruppe zu uns flog, zu Kunst zu erheben. Irgendwie ist ja alles eine Frage der Einstellung. Ist das jetzt also Kunst oder kann das weg?

* http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/uebermaltes-jesus-bild-in-spanien-weitere-faelle-von-kunstzerstoerung-a-851713.html, zuletzt heruntergeladen am 15.6.2018 um 19:00 Uhr