In memoriam. Eine Fragestunde.

Manchmal ist es einfach nicht mehr witzig, auch wenn man sich noch so anstrengt. Meine Kolumne war schon fertig. Das Übliche, wissen Sie. Ganz lustig, relativ geistreich, passend zur Jahreszeit. Doch dann musste ich abends bei den Nachrichten weinen. Ich sah einen LKW am Straßenrand stehen. Darin etwa 30 oder mehr tote Menschen, am Straßenrand abgestellt wie ein vergammelter Viehtransport. Eigentlich nur ein weiterer Meilenstein in den Dramen, die sich seit Monaten, ehrlich gesagt schon seit Jahren, auf der Welt und damit auch bei uns abspielen. Nur dass ich nach den Nachrichten sonst immer wieder irgendwie abschalten konnte. Jetzt nicht. Ich träumte davon. Was passiert hier eigentlich?

Tage vorher hatte ich schon fassungslos auf die rechtsextremen Ausschreitungen von Heidenau geschaut. Dort schien es, als ob der braune Mob nur darauf gewartet hätte, endlich wieder ein Feindbild für seine tumbe Gewalt zu bekommen – unterstützt von vielen braven Bürgerinnen und Bürgern. Hatten wir das nicht schon?

Warum eigentlich gingen mir die toten Menschen in diesem LKW noch näher als die toten Menschen auf dem Mittelmeer? Vielleicht weil es mir räumlich näher erscheint? Vielleicht weil es mir noch ein wenig menschenverachtender und würdeloser erscheint – entmenschlicht auf schlimmste Art und Weise? Das kann nicht sein, denn das trifft auch auf alles zu, was vorher schon passiert ist. Mein Kopf produzierte Bilder von den Zuständen in dem LKW, von den Menschen dort, die vermutlich nie identifiziert werden und deren Familien irgendwo in Afrika oder auf dem Balkan nie erfahren werden, was mit ihnen passiert ist. Gleichzeitig fragte ich mich, was der Fahrer dieses Transportes für ein Mensch ist. Wie kommt er dazu, so etwas zu tun? Wie kommt er jetzt damit zurecht, so etwas getan zu haben?

Am Abend fragte Claus Kleber Frank-Walter Steinmeier im heute journal, warum man es auf europäischer Ebene geschafft hat, Milliarden für die Bankenrettung bereitzustellen, aber keine europäische Einigung für die Rettung von Menschen erzielt werden kann. Das frage ich mich auch. Konstantin Wecker fragte auf Facebook, warum man zwar auf Demonstranten – beispielsweise bei Gegnern von Stuttgart 21 – mit der ganzen Härte des Staates, sprich mit Wasserwerfern und Pfefferspray, losgehen konnte, es bei den Rechtsextremen von Heidenau und anderswo aber bisher nicht tut. Das frage ich mich auch. Jürgen Todenhöfer weist in einem offenen Brief Präsidenten und Regierungschef daraufhin, dass sie selbst mit jahrzehntelanger Kriegs- und Ausbeutungspolitik Millionen Menschen im Mittleren Osten und in Afrika ins Elend gestürzt haben und fragt sich, warum sie auch jetzt wieder nicht ihre Politik ändern, sondern an den Symptomen herumkurieren. Das frage ich mich auch.

Ich weiß, dies ist nicht der Platz für politische Kommentare, es ist der Platz für das Alltägliche. Als ich ein Kind war, zehn Jahre alt vielleicht, fragte ich meine Mutter, wie wir Weihnachten feiern könnten, wenn doch in so vielen Ländern Krieg herrschte. Heute weiß ich, dass das geht. Meistens wenigstens. Wir können trotz vieler Dinge weiterleben, feiern, unserem Alltag nachgehen. Aber manchmal, so wie jetzt, wird der Alltag gestört. Vielleicht werden Sie jetzt sagen, na, wenn sie so anfängt, dann kann sie jetzt ja jede Woche über irgendein Elend schreiben. Könnte ich auch. Mache ich aber nicht. Nur heute. Es ging nicht anders.