Heiliger Wahnsinn – helau!

Eigentlich wäre heute die Faschingsveranstaltung in Altenburg. Ich hatte – Sie werden es sich vorstellen können – schon wieder ein sexy Paillettenkleid zu meiner blonden Langhaarperücke im Auge, um meine Verwandlung zu vollziehen, die mich einmal im Jahr im Rahmen meiner Möglichkeiten zur blonden Göttin werden lässt, aber es war ja abzusehen, dass auch aus dieser für den gesellschaftlichen Zusammenhalt so wichtigen Veranstaltung in diesem Jahr nichts wird. Nicht dass ich Langeweile gehabt hätte, dass die Vorbereitungen ausgefallen sind. In unserem Faschingskomitee habe ich als Schreiberling mit Abstand die wenigste Arbeit. Aber unsere Vorbereitungstreffen in der Pizzeria unserer Wahl haben mir doch schon sehr gefehlt. Und auch wenn ich es als nicht unbedingt Faschingsverrückte, so doch als Faschingssympathisantin, nicht wirklich vermisse, dass ich mir auch noch Gedanken um die Verkleidung meiner Familienmitglieder (samt Schminke) machen muss, hätte ich doch gerne gemeinsam mit allen anderen aus meinem Dorf heute gefeiert. Ich hätte mich nach dem Programm wie jedes Jahr in die Sektbar begeben – hinter die Theke natürlich – und bis in die Morgenstunden ausgeharrt und Sekt, Whisky-Cola und kleine Feiglinge über die Theke in den schummerigen kleinen Verschlag gereicht, der – wenn er nicht mit schwarzem Stoff, Luftschlangen und Schwarzlicht als Sektbar verkleidet ist – ein Dasein als Stuhllager führt. (Wer kennt es nicht?) In regelmäßigen Abständen hätte ich in der Damentoilette meinem eigenen Verfall zugesehen und im sich leerenden Saal dem der anderen. Am nächsten Tag hätte ich mich gefreut, dass ich – sektbardienstbedingt – wenig Alkohol getrunken hätte und zum Mittagessen doch schon wieder recht sicher auf den Beinen stehen würde. Aber so?

Ich glaube nicht, dass wir heute Abend eine Art Ersatzveranstaltung auf die Beine stellen, oder kann sich irgendjemand von Ihnen vorstellen, dass mein Mann und ich – ich wie gesagt als blonde Fast-Göttin, er nochmal als Mr. Spock, weil die Ohren vom letzten Jahr halt noch da sind und ihn so gut kleideten – auf dem heimischen Sofa vor einer Faschingswiederholungssendung sitzen, Luftschlangen werfen und uns betrinken? Und welche einzelne Person sollten wir uns dazu wohl einladen? Mein Mann würde sicherlich für Captain Uhura plädieren und ich würde sie ihm gönnen, da George Clooney wohl noch schwieriger zu kriegen ist und ich ja nachweislich auch nicht sein Frauentyp bin. Nicht mal mit blonder Langhaarperücke.

Wir haben wie gesagt, die Wahl, aber was machen eigentlich die richtigen Narren in diesen Tagen? Und alle, die dafür brennen, dass eine Sitzung, ein Zug, ein Weiberfasching auf die Beine kommt? Und was macht der Verlust von Fasching eigentlich mit uns als Gesellschaft?

Der Philosoph Christoph Quarch verweist auf die Ursprünge des Faschings: Schon die alten Griechen hätten Dionysos, dem Gott des Rausches, der Trunkenheit und des heiligen Wahnsinns mit Gelagen aller Art gehuldigt, führt er in einem Podcast in der ARD-Audiothek aus, und verweist auf Sokrates und Platon, die Trinkgelage für den Fortbestand der Demokratie für unumgänglich hielten. In der Fachsprache heißt das „Katharsis“, übersetzt auf Fasching heißt das auf den Putz hauen, die Sau rauslassen, über die Strenge schlagen, moralische Kriterien einer Gesellschaft außer Kraft setzen, um – jetzt kommt’s – sie danach wieder besser zu verstehen und mit umso mehr Kraft und Freude zu verfolgen. Jetzt kann man sich natürlich noch über die Grenzen der Außerkraftsetzung unterhalten, die sich – insbesondere, wenn es die Moral betrifft – doch mitunter bis weit nach den tollen Tagen auswirken könnte. Also, ich wüsste jetzt nicht, ob die Aussage „Was ich mit Hildegard hinter der Sektbar getan habe, habe ich für den Fortbestand der Demokratie getan“ mich so auf Anhieb überzeugen würde…. Jedenfalls haben Herrn Quarch zufolge das Spiel mit den Rollen und die kollektive Ausgelassenheit eine wichtige gesellschaftliche Bedeutung, auch wenn man sich heute weniger sinnvoll als vielmehr sinnlos betränke. Ob das mit dem Sinn im Ergebnis einen Unterschied macht, weiß ich jetzt auch nicht.

Vielmehr frage ich mich, wenn ich an die vielen, vielen dermaßen witzigen Ideen denke, die speziell zu Fasching ungehemmt ans Licht kommen, wenn Bankdirektoren und Bürgermeister zu Rockstars werden, wenn hemmungslose Männer sich als Balletttänzer und Primaballerinen auf die Bühne trauen, wenn es nicht immer gehaltvoll, sondern manchmal einfach nur richtig schön blöd ist, was die Menschen mit diesen Potenzialen heute und in den nächsten Tagen tun. Das kann doch nicht alles verpuffen, das muss doch raus!

Also, vor diesem Hintergrund werde ich dann vielleicht doch noch mal über meine Metamorphose am heutigen Abend nachdenken und die Weinvorräte checken. Und da ich keinen Sektbardienst habe, könnte ich ernsthaft und zielgerichtet an meiner Katharsis arbeiten. Und die Demokratie retten. Auch Sie sollten da mal drüber nachdenken.
Muss ja sein.

In diesem Sinne ein dreifach donnerndes Helau!

https://www.ardaudiothek.de/im-gespraech/fruehstuecksquarch-brauchen-wir-fastnacht-und-wenn-ja-warum/72284026