Hallenbad-Blues

Früher ging man einfach schwimmen. Früher ist natürlich auch schon lange her. Seitdem sind nicht nur Bademützen mit Plastikblumen von der Bildfläche verschwunden, sondern auch die Bikinifigur ist auf dem Weg durch die Jahrzehnte irgendwo abhandengekommen. Wenn ich manchmal, also wirklich ganz früher, in der Mittagspause schwimmen ging, schwammen die älteren Damen, die so um die fünfzig, mit ihrer Freundin gemächlich ihre Bahnen. Langsam genug, um sich noch gepflegt unterhalten zu können, den Kopf streng aus dem Becken gereckt, um die Frisur nicht zu gefährden. An einem Rand des Bades standen die Startblöcke, an allen anderen Rändern mahnten Schilder, dass das Einspringen von der Seite verboten sei. Schlechtgelaunte, weil kommunale Bademeister in schlechtsitzender, weil kommunaler Badekluft wachten darüber, dass alle Schwimmbadregeln eingehalten wurden. Unnötig zu sagen, dass man im Schwimmbad nur schwamm. Sonst nichts.

Was dann in und mit den Schwimmbädern passierte, weiß ich nicht. Als ich Jahre bis Jahrzehnte später wieder mal eines betrat, waren Spaßrutschen eingebaut, Wellenmacher, Wildwasserduschen, Kletterwände und Solarien; Massagebänke und Relaxliegen allüberall. Attraktives, sportliches und sogar freundliches Personal tummelte sich in leuchtenden Outfits am Beckenrand. Aus den Hallenbädern waren Erlebnisbäder geworden, wie aus allem um einen herum ja ein Erlebnis hatte werden müssen: Egal ob Shoppen oder Kirchgang – ein Event muss schon sein. Shoppen kann man natürlich heute in jedem angesehen Hallenbad, und selbstverständlich gibt es dort jetzt auch Gastronomie. Event-Gastronomie natürlich. Hört sich abfällig an, ist es aber nicht. Denn ganz ehrlich: Wenn ich an meine frühen Jahre im Fuldaer Hallenbad zurückdenke, dann sind die schwarzweiß.

Nachdem ich also jahrelang eigentlich gar kein Schwimmbad mehr betreten hatte, wurde ich fast blind vor Farbe und Buntheit, als ich mit meinen Kindern zum ersten Mal ein Erlebnisbad aufsuchte. Dort gab es nicht nur einen Whirlpool und eine Wildwassergrotte, nein, man konnte auch nach draußen schwimmen und man konnte direkt am Schwimmbad seine Pommes essen und Kaffee trinken, was nicht nur der Entspannung zugutekam – Schwimmer, egal wie eifrig, kriegen ja immer so einen furchtbaren Hunger -, sondern auch den Chlorgeruch mit dem Duft von Pommesfett übertünchte.

Und plötzlich konnte man im Schwimmbad auch noch ganz andere Sachen machen als Schwimmen und Pommes essen. Man konnte sich bräunen und erholen, man konnte sich massieren lassen und die Kinder sich einfach austoben lassen, und dann, als man dachte, jetzt geht es nicht mehr besser, dann wurde auch noch der Aqua-Sport erfunden. Was ich früher nur ansatzweise aus Kureinrichtungen kannte, hatte sich auf den Weg ins Provinzbad gemacht und dort heißt es nun: Aqua Fitness, Aqua Gymnastik, Aqua Cycling, Aqua Power, Aqua Jogging, Aqua Zirkel, Aqua Zumba, Aqua Fitboard, Aqua Boxing, Aqua Aerobic, Aqua Balancing, Aqua Dancing, Aqua Walking, Aqua Drill – die Bandbreite und die Fantasie der Angebote sind so unerschöpflich wie die Palette der Hilfsmittel, oder sollte man sagen Sportgeräte, was durchaus sexier klingt und auch angemessen ist. Die gute alte Poolnudel kommt ja nur noch sporadisch zum Einsatz, wie man hört, und sie sorgt im Bewegungsbecken für die unglaublichsten Körperverknotungen, die von den Trainerinnen und Trainern nicht immer sofort wieder aufgelöst werden können. (Und nein, die Pool-Nudel ist keine Mitarbeiterin, die immer einen kleinen Scherz auf den Lippen hat.) Daneben gibt es den Aqua-Jogging-Gürtel, die Aqua-Hanteln, den Aqua-Stepper, die, der oder das Aqua Be Tomic, so eine Art offenes Ballding, für das man im zwischenmenschlichen Bereich vielleicht auch noch andere Einsatzmöglichkeiten fände. Es gibt Beinschwimmer, All-Trainer, Unterwasser-Trampoline, Handpaddles, Multi-Trainer, Power Sticks, Manschetten, Boards, Bänder, Discs und natürlich, und da komme ich jetzt auf mein ganz persönliches Lieblingsteil, das Aqua Bike. Das Wasserfahrrad, das ich allwöchentlich, nachdem ich mit dem Auto und nicht mit dem Fahrrad ins Schwimmbad gefahren bin, ins warme Wasser des Bewegungsbeckens hieve. Es ist so schwer und unhandlich, dass man schon von den Vorbereitungen Muskelkater bekommt und ich immer noch darauf warte, dass ein muskulöser junger Mann uns – wir sind ja fast zu 100% Damen in den Kursen – die Fahrräder rein und raus trägt. Ich hätte da schon eine Idee…

Ja, und dann geht es los: Unsere Trainerin schmeißt ihren unvermeidlichen Ghettoblaster an und wir fahren zu YMCA und Boney M. auf unseren Rädern, was das Zeug hält. „Schwalm-Challenge“ sagt mein Mann dazu und mahnt mich stets, wenn ich das Haus verlasse, „Radel nicht so weit raus!“ Soll er doch. Wir schonen dabei unsere mehr oder weniger geschundenen Gelenke und bewegen mit Hilfe irgendeines der obengenannten Geräte alle Muskeln in unserem Körper, indem wir sie mehr oder weniger koordiniert auf unserem Fahrrad demmelnd, stehend oder sitzend von uns weg und wieder auf uns zu bewegen. Manchmal frage ich mich, was der geneigte Erlenspaziergänger, der direkten Einblick in unser Becken hat, sich wohl denkt. Egal, denn die eigentliche Entdeckung für mich ist dabei: Obwohl ich mich sportlich betätige, habe ich Spaß. Und deshalb ist für mich die Erfindung des Event-Bades wie gemacht. Dafür nehme ich auch in Kauf, dass nach wie vor die Toilettensitze im Schwimmbad nass sind und die Böden in den Örtlichkeiten glitschig und man sich nicht allzu viele Gedanken machen darf, auf was man sitzt oder läuft. Ich nehme in Kauf, dass man sich vorher ausziehen und duschen muss und nachher nochmal duschen und wieder anziehen. Ich nehme auch in Kauf, dass ich persönlich immer noch nicht genau weiß, wie man sich die Füße abtrocknet, ohne dass man den trockenen wieder auf den feuchten Boden stellt. Außerdem weiß ich immer noch nicht, wie man im Winter klamme Socken an klamme Füße bekommt, und wie man – ebenfalls im Winter – seine ganzen Klamotten in die kleinen Spinde kriegen kann.

Das, würde ich sagen, sind einfach kleine Reminiszenzen an früher, als man im Schwimmbad nur schwamm und das Leben im Hallenbad in Schwarzweiß statt in Knallbunt stattfand.