Grusel-Welt

Da waren sie wieder, die Geister zu Halloween, die in den meisten Fällen gar nicht wissen, warum sie unterwegs sind und die mit ihren Masken, ihrer Deko und ihrem Ruf nach Süßem nur eine weitere clevere Industrie befördern, die – ähnlich wie zu anderen Anlässen, beispielsweise dem Valentinstag – auf uramerikanische Art und Weise über das Ziel hinausschießt. (Weihnachten lasse ich bei diesen Betrachtungen mal außen vor, weil ich da ja selbst mitmache und ich ja schlecht über mich selbst lästern kann.)

Wobei Halloween schon sehr speziell ist – denn warum sollte sich jemand mutwillig Angst machen? Also Angst im Sinne von Grusel? Grusel an sich wird in der Fachpresse ja eher nicht als Angst beschrieben, sondern als diffuses Gefühl, das sich in einem wohligen Schauer auflöst: Als „Ambivalenz der angstauslösenden Eindrücke bei gleichzeitig bekannter Sicherheit“ beschreibt der Hirnforscher Simon Eickhoff den Gruseleffekt. Hört sich nach dem zehnten Lesen ganz harmlos an, oder?

Ist mir aber egal, denn ob Sicherheit oder nicht – wobei Sicherheit an sich ja auch wieder sehr relativ mit Tendenz zu trügerisch sein kann: Ich finde schon lange, mein Leben ist aufregend genug, sodass ich auf künstlichen Grusel aller Art gerne verzichten kann. Das fängt schon beim Blick in den von mir – freundlich gesagt – mit Beschlag belegten Kellerraum an, den ich seit meiner Ankunft in Altenburg stetig fülle. Auch freundlich gesagt. Mitbewohner verwenden hier gerne das unschöne Wort zumüllen. Auch irgendwas mit „Messie“ habe ich in dem Zusammenhang schon gehört. Schon beim Betreten des Raumes, in dem ich mir inzwischen jeden Schritt zwischen Kisten, Tüten und freiumherliegenden Möbelstücken, alten Spielen und jeder Menge Seidenblumen mühsam erkämpfen muss, und mir mitunter wie Indiana Jones eine Machete zum Freischlagen wünsche, kommen sie und umschließen mich, ähnlich wie seinerseits den armen Ebenezer Scrooge, dessen große Zeit nun auch bald wieder schlägt: die Geister der Vergangenheit. Sie wabern aus Altkleidersäcken, zahllosen Kisten mit alten Zeitungsberichten, Bücherkartons, Kruschschatullen und eigentlich aus jeder einzelnen Ecke und Ritze. Uaaaaahhhh!

Und steckt nicht in jedem Haushalt – je nach Größe seiner Mitglieder – jede Menge Gruselpotenzial? Angefangen bei den Holzböcken des Hundes über die Flöhe der Kinder (im tatsächlichen wie im übertragenen Sinn), den unglaublichen Funden in den hinteren Ecken des Kühlschranks, der Vorstellung von vergrößerten Milben auf dem Kopfkissen und dem deutlich sichtbaren Mäusefraß samt -ausscheidungen in dem Stapel der Stuhlkissen, glücklicherweise im Gartenhaus? Was will mir das kleine Silberfischchen sagen, dass sich flink über die Badezimmerfließen schlängelt? Und wo kommt eigentlich schon wieder die Spinne her, die mich morgens unvermittelt neben der Schlafzimmertür begrüßt. Halloween ist überall. Und ständig. Wenn dann noch Post vom Strom-, Gas-, oder Pelletanbieter kommt, dann kann Freddy mit seinem Nightmare ganz schnell einpacken.

Doch der Grusel in meinem kleinen, unbedeutenden Alltag ist ja derzeit nichts gegen den Grusel in der Welt. Es herrschen Zustände, für die es keine Worte gibt. Es gruselt einen tagtäglich, wenn man nur die Nachrichten hört oder schaut: Die Welt ist voller Männer, gegen die Freddy Krueger glatt als der kleine Bruder von Mary Poppins durchgehen würde. Nur dass man Typen wie ihn eben einfach in einen Film, ein Computerspiel oder eine Geisterbahn stecken kann. Und wenn man keinen Bock mehr drauf hat, steigt man einfach aus und lässt die Jungs sich alleine weitergruseln. Schön wär’s oder? Wenn man einfach aussteigen könnte aus kleinen und riesigen Katastrophen. Wenn man die Monster der Welt mit Süßem besänftigen könnte …

Vielleicht hätte man auch die Magie des All Hallows’ Eve nutzen können, um die alten zündelnden Männer zu verzaubern! In was? Keine Ahnung – eine durchscheinende Elfe vielleicht, die – getreu dem wunderschönen Motto „Elfen helfen“ – durch die Gegend schweben und permanent Gutes tun würde, bis zum Ende ihrer Tage. Das würde sich auch fürs Karma echt gut machen. Apropos Karma: Da sollte man sie vielleicht doch lieber in einen Wurm verzaubern. Heidi Klum hat’s ja grade vorgemacht und sich zu ihrer Halloween-Party tatsächlich als Wurm verkleidet und von ihrem als Angler gestylten Ehemann über den Boden ziehen lassen. Wem’s gefällt, sag‘ ich da nur – meins ist das ja nicht. Und um mich angelnderweise über den Boden zu ziehen, müsste man mit Blick auf die Angel auch ganz schön aufrüsten. Eher so was Hochseetaugliches. Allerdings ist Herr Klum ja auch noch viel jünger als mein Mann und hat bestimmt auch noch nicht Rücken. Aber ich will nicht abschweifen. Auf jeden Fall sollten wir Heidi Klum mal fragen, wie es war, als sie ihre Metamorphose durchlebt hat. Kennt sie jemand? Wurm – also ich finde, das wäre für Kriegstreiber, Unterdrücker und Menschenschänder ein durchaus überdenkenswerter Zustand. (Entschuldigung, Herr Wurm.) Dumm nur, es bleibt eine Fantasie. Und wir können nur hoffen, dass die Welt irgendwann die Kurve kriegt. Bis dahin hole ich mir noch ein bisschen was Süßes.

Die Welt ist ja sauer genug.

Quelle: https://www.helmholtz.de/newsroom/artikel/darum-gruseln-wir-uns-gerne/ (5.11.2022)