Goodbye, Norma Jean!

Fasching, Fastnacht, Karneval – ganz egal, wie Sie es nennen: Diese Zeit jetzt bietet Gelegenheit einmal im Jahr jemand anders zu sein. Jemand ganz anderes oder gar etwas ganz anderes. Manche träumen ja offenbar von einem Leben als Marienkäfer oder als Banane, als Bratwurst oder Ketchupflasche. Würde man das im Sinne der Reinkarnationstheorie betrachten, dürfte man wohl durchaus von schlechtem Karma sprechen. Aber jedem das Seine. Wenn man so die einschlägigen Verkleidungslieferanten im Internet anschaut, stellt man fest: Alles geht: So fand ich beispielsweise das Kostüm „Party Popper“, „bestehend aus formstabiler Toilette mit drahtverstärkter Klobrille, angenähten, wattierten Beinen mit heruntergelassener Unterhose aus Elastik-Jersey, Oberteil aus Elastik-Jersey, hinten mit Klettverschlüssen zum Befestigen an Spülkasten“. Auch diese Verwandlung würde ich karmatechnisch als äußert fragwürdig bewerten. Und wie das so mit Zombies ist, für die man sich offene Halswunden („Zombie-Fraß“) und Einschusslöcher aus Latex bestellen kann, ist mir auch noch ein Rätsel. Aber es geht ja auch nicht nur ums Karma, genauso wenig wie um den guten Geschmack, deutlich sichtbar an den vielen überdimensionierten Geschlechtsteilen, die man sich bei maskworld oder Buttinette bestellen kann und von denen man vielleicht auch nach Fasching noch profitiert. Mehr auf jeden Fall als von einer klaffenden Gesichtshälfte oder einer mannshohen Bananenschale. Aber wer weiß…

Ja, und ich? Ich wollte in diesem Jahr endlich, endlich meiner wahren Bestimmung nachgeben und als mein zweites Ich gehen. Wahrscheinlich wussten Sie es nicht, aber es gibt Anzeichen, dass ich die Reinkarnation von Marylin Monroe bin (Bitte fragen Sie mich jetzt nicht, ob das im Sinne der Karmatheorie ein Aufstieg oder ein Abstieg ist.) Allerdings wurde mir das recht kurzfristig bewusst, sodass meine Recherche nicht besonders intensiv ausfiel. Nur darauf lässt es sich eigentlich zurückführen, dass ich nicht so hundertprozentig mit diesem tollen weißen Kleid – Sie wissen schon, Marylin mit hochgewehtem Kleid auf einem U-Bahn-Schacht – zufrieden war. Es saß einfach nicht gut. Und es war rückenfrei. Tja, und rückenfrei ist ja so eine Sache, über die ich mich hier nicht weiter äußern will. Nur so viel: Schon Susanne Fröhlich berichtete in ihrem Buch „Moppel-Ich“ über merkwürdige Haltegriffe beidseitig am Rücken, die man gnädigerweise von vorne nicht sieht. Von hinten dann aber doch, woraufhin mir meine Freundin zu einer Rückenplastik riet. Eine Rückenplastik! (Meine Ex-Freundin im Übrigen.) Eine andere riet mir zu einem nacktfarbenen Theater-Unterkleid, das ich aber in der Schnelle der Zeit nicht mehr auftreiben konnte. Als eine dritte Freundin mir dazu riet, unter das Kleid einen kleinen Fön einzubauen, der es in regelmäßigen Abständen U-Bahn-artig hochblasen würde, wusste ich: Das kann ich in diesem Jahr auf keinen Fall mehr schaffen! Und ehrlich gesagt, war die Marylin-Monroe-Perücke auch nur halb so glamourös wie auf dem Verpackungsbild. Was mich am Ende auch nicht verwunderte, schließlich hatte ich sie im Horror-Shop bestellt. Und das war vielleicht auch nicht die beste Wahl. Augen auf bei der Wahl des Kostümlieferanten, sage ich nur! Also ging jetzt alles retour. Zurück ins Internet, goodbye, Norma Jean! Vielleicht sehen wir uns ja im nächsten Jahr wieder, dann allerdings mit so viel Vorlauf, dass die Haltegriffe am Heck verschwunden sind oder alternativ Zeit ist, ein hautfarbenes, rückenfreies Hochleistungsmieder zu beschaffen. Und einen kleinen Fön mit integrierter Zeitschaltuhr.

Vielleicht wäre es aber auch eine Idee, als gealterte Marylin zu gehen, als Marylin mit fünfzig, mit grauen statt platinblonden Locken und mit altersgerechten Verschleißerscheinungen, Körpererweiterungen und Ausbuchtungen, das Kleid vergilbt und gemütliche Puschen an den Füßen…

Für dieses Jahr ist das erstmal egal: Das Schicksal war gnädig mit mir. Pünktlich zum Weiberfasching schenkte es mir einen so kräftigen grippalen Infekt, dass ich jeder weiteren Veranstaltung fernbleiben musste. Es sei denn, ich wäre vielleicht als wandelndes Virus gegangen. Aber das will ja keiner sehen.

Hel————–atschie!