Göttliche (Un-)Ordnung

„Bei einer Razzia in Alsfeld stellte die Polizei 200 Paar Schuhe sicher“, hörte ich letztens im Radio, als ich unterwegs war, und kriegte natürlich einen Riesenschreck! Wer sollte bei uns eine Hausdurchsuchung veranstaltet haben? Die einzigen, die das hin und wieder tun, sind wir selbst, wenn wir Dinge suchen, die wir nur einmal im Jahr brauchen. Oder zweimal. Oder wenn ich aufgeräumt habe. Also wer sollte es tun, und vor allen Dingen, was ist so schlimm daran, 200 Paar Schuhe zu besitzen? Schlimm im Sinne von kriminell, versteht sich, nicht im Sinne von unsinnig. Meine Erleichterung war groß, als ich feststellte, dass die Hausdurchsuchung sich nicht bei uns ereignet hatte – und das nicht, weil ich es dann doch noch nicht ganz auf 200 Paar Schuhe bringe, sondern weil die Schuhe nicht allein gefunden wurden, sondern zusätzlich auch Drogen. Und davon gibt es bei uns im Haus außer Alkohol, Zigaretten, Klebstoff und Paracetamol ja so gut wie keine. Kaffee vielleicht noch und Nagellackentferner. Das war also noch mal gutgegangen, und zwar nicht nur für uns, sondern auch für die Beamten, denn bei uns eine Hausdurchsuchung zu machen, ist – da kann ich schon mal alle, die sich mit dem Gedanken tragen – aussichtslos. Die einzige Person, die bei uns etwas findet, bin ich. Und das auch nicht immer. Schon meine Kinder haben begriffen, dass an dem Satz „Es ist erst dann wirklich verloren, wenn deine Mutter es nicht findet“ kein Wort gelogen ist. Also, wann immer es zu einer Hausdurchsuchung bei uns käme, wäre es am einfachsten, man würde mich gleich nach dem Gesuchten fragten. Man könnte die Aktion dadurch sehr verkürzen. Aber das nur so als Hinweis.

Dass es bei uns so schwierig ist etwas zu finden, hängt natürlich mit der Anzahl der hier lebenden Personen zusammen, wir sind zu sechst und mindestens drei von uns könnten Messies sein oder zumindest werden. Das heißt: Zuviel Zeug, zu wenig Platz und dazu zu wenig Disziplin. Keiner von uns räumt gerne Sachen gleich an ihren Platz – welchen Platz eigentlich? Und ab und zu kriege ich dann einen Koller und räume alles weg, meistens ohne mir genau zu merken wohin, ja, und schon sind sie da, die Probleme! Aber da ich, wie gesagt, eine gute Sachenfinderin bin, vollziehe ich meine Wegräumgedanken nach, oder die meiner Mitbewohner, kalkuliere Eventualitäten mit ein, was man wo aus irgendeinem Grund vielleicht einfach fallengelassen haben könnte, und manchmal, also ganz selten, kommen mir einfach Bilder in den Kopf, wo ich die gesuchten Gegenstände finden könnte. Und wenn alles nichts hilft, bete ich zum Heiligen Antonius. Ich bin zwar nicht katholisch, aber der gute Anton hat’s echt drauf. Sollten Sie mal probieren, wenn Sie wieder mal was suchen!

All das hilft professionellen Hausdurchsuchern natürlich nichts, denn ihnen fehlt ja die persönliche Bindung zu den gesuchten Gegenständen, die Aura quasi. Als alte Krimitante stelle ich mir immer gerne vor, wie jemand schon nur die Sachen aus meinem gerademal neun Quadratmeter großen Büro mitnimmt und auf irgendetwas Undurchsichtiges hin überprüft. Die neun Quadratmeter sind gut ausgenutzt – meist ist der Boden nicht frei und die Unterlagen türmen sich zu mehr oder weniger stabilen Gebilden. Es gibt dort also jede Menge, und wenn ich mir vorstelle, dass gerade hier jemand etwas sucht, von dem er nicht weiß, dass er es sucht, dann findet er entweder alle zwei Sekunden was oder nie. Ich hebe nämlich wirklich spannenden Sachen bei mir auf: Postkarten für unterschiedliche Anlässe, Bücher mit schönen Sprüchen, kleine Geschenke für unerwartete Einladungen, wie beispielsweise das „Little Feminist Puzzle“, Geschenktüten, unverkaufte Bücher von mir, Spiele für meine Presse-AG, Wörter- und Deutschbücher ohne Ende, Gimmicks aus Frauenzeitschriften und tausend, ach was, zehntausend einzelne Seiten aus ebendiesen Frauenzeitschriften, die mir insbesondere für Kolumnen und später vielleicht einmal für mein Buch Inspiration und Anhaltspunkte geben sollen. Man kann also wirklich so einiges finden bei mir und sich lange und sehr gut auf diesen neun Quadratmetern aufhalten, zumal die Aussicht ganz wunderbar ist und meine Kinder auf Zuruf frischen Kaffee bringen – sofern man dafür irgendwo ein Plätzchen freischaufeln kann.

Zu dumm nur, dass insbesondere die Zeitungsseiten unsortiert und wild auf mehreren Haufen und je nach Aufräumphase in Kartons oder Heftern liegen. So finde ich natürlich auch nicht den Artikel, den ich mir mal aufgehoben habe für eine Kolumne wie diese. Da ging es um einen Journalisten im Amerika der McCarthy-Ära, als die Redaktionsräume verdächtiger Zeitungen durchsucht wurden. In seinem Büro herrschte ein solches Chaos, dass die Beamten, die die Räume durchsuchten, dort nicht mehr nachschauten, weil sie sicher waren, dass hier schon durchsucht worden sei. So hat sich die Unordnung wirklich als himmlisch erwiesen.

Es gibt nichts, was für nichts gut ist, sagte mein Opa immer. Er hatte ja sooo recht!