#GERWOMANY
Morgen ist Wahltag. 61,5 Millionen Deutsche dürfen wählen. Vermutlich ihre Bundeskanzlerin, aber noch ist ja nicht Abend. Und mit Donald Trump und dem Brexit hätte ja auch niemand gerechnet. Vielleicht müssen morgen Abend konsternierte Moderatoren Patrick, äh Christian Lindner zum überraschenden Wahlgewinn gratulieren oder am Ende vielleicht sogar Gauleiter Gauland. Wer weiß. Wir Frauen hätten einen entscheidenden Anteil an diesem Ergebnis. Denn wir sind die Mehrheit: 31,7 Millionen hat der Bundeswahlleiter gezählt, bleiben nach Adam Riese 29,8 Millionen Männer.
HÄTTEN, wohlgemerkt, denn wir Frauen wählen nicht gerne. Wahrscheinlich, weil es uns von Haus aus schwerfällt, uns zu entscheiden, und wir dann gerne mal mit einem roten und einem schwarzen Paar Schuhe aus dem Laden kommen, weil uns die Wahl so schwerfiel. Als Voraussetzung für nur ein Kreuzchen bei der richtigen Partei ist diese Kompetenz nur so mittel. Und soweit ich mich erinnere, sind die Wahlkabinen auch nicht besonders ansprechend ausgestattet. Und die Freundin darf ja auch nicht mit rein, um die möglichen Szenarien mal bei einem kleinen Proseccchen oder Espressöchen in Ruhe zu diskutieren. Apropos Kabine: Kennen Sie den Spot, in dem Carolin Kebekus als erstwählende Haus-Shopping-Beauty-Queen zum allerersten Mal in ihrem Leben die Wahlkabine betritt und in alter Gewohnheit als erstes ihre Klamotten von sich schmeißt?! Sie macht sich darüber lustig, dass große Frauenzeitschriften sich jetzt zusammengetan haben, um Frauen zum Wählen zu motivieren und ihnen mitunter auch noch gleich verschiedene Inputs zur Wahlentscheidung mit auf den Weg zu geben. Ist anscheinend nötig, aber warum?
Zum einen bietet der Wahlkampf dem politisch uninteressierten Weibchen nicht wirklich Erleuchtung. In Alsfeld hing direkt hinter einem Riesen-Merkel-Plakat ein Riesen Chippendales-Plakat, ganz so, als ob man die auch wählen könnte. Vorspiegelung falscher Tatsachen, würde ich da mal sagen. Da werden Frauen mit halbnackten Tatsachen ins Wahllokal gelockt, um dann die Wahl zu haben zwischen Martin Schultz und Dr. Helge Braun. Das ist doch – Entschuldigung – Kacke! Bestenfalls verlässt die Dame dann die Wahlkabine und geht wieder mal als Nichtwählerin in die Annalen dieser BTW ein oder sie wählt aus lauter Verzweiflung dann doch Christian Lindner, sofern sie sich an den Namen der coolen Dreitages-Bart-Socke mit Bambi-Blick-Bild erinnert.
Zum anderen sprechen die Fakten eine deutliche Sprache:
Laut der repräsentativen Wahlstatistik, veröffentlicht von der Bundeszentrale für politische Bildung, war die Wahlbeteiligung der Männer bei jeder Bundestagswahl von 1953 bis 2013 höher als die der Frauen. Wollen Frauen nicht für ihre Rechte kämpfen, so wie sie es vor über hundert Jahren getan haben, als sie sich – sehr zum Missfallen der Männer übrigens – das Wahlrecht erstritten? Oder ist das Recht zu wählen so normal geworden wie viele andere Dinge, die wir als selbstverständlich annehmen, obwohl diese in Gefahr sind, etwa wenn eine alternative Partei am „traditionellen, biologisch verankerten Frauenbild“ festhalten will? Oder ist es uns – was nach fast hundert Jahren ja verständlich wäre – einfach zu unmodern geworden? Muss sich das Wahlrecht neu stylen? Oder könnten wir es vielleicht im Sinne der Retro-Welle neu entdecken? Ein kleiner Rückblick auf die durchaus interessante Geschichte des Wahlrechts für Frauen – aus Platzgründen nur in Europa:
Am 19.Januar 1919 durften Frauen in Deutschland das erste Mal wählen. Doch alles begann natürlich viel früher und durchaus unerfreulich: Olympe de Gouges, erste Kämpferin und Verfasserin der „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ von 1791, wurde 1793 hingerichtet, aber die Idee war in der Welt. Als erstes europäisches Land gab 1906 Finnland Frauen das Wahlrecht. 1913 wurde das allgemeine Frauenwahlrecht in Norwegen, 1915 in Dänemark eingeführt. So ging es dann munter weiter, bis Deutschland dann halt auch mal an der Reihe war – längst nicht als letztes.
Die Mehrheit der wahlberechtigten Männer wollte das Frauenwahlrecht natürlich verhindern. Dabei trieb der „Antifeminismus“ bizarre Blüten: In allen Ländern wurde immer wieder die „natürliche“ Bestimmung der Frau ins Feld geführt, die sie für die Arbeit im Hause prädestiniere, während die Politik in die männliche Welt gehöre. Man dachte aber auch, dass Frauen wegen ihrer sozialen Rolle nicht unabhängig urteilen könnten. Britische Reformer verhinderten im Jahr 1867 ein Frauenwahlrecht vor allem deshalb, weil es politische Differenzen innerhalb von Familien zwischen den Ehepartnern verursachen könnte. Aus diesem Grund wurde in Skandinavien und Großbritannien zunächst nur für ledige und verwitwete Frauen das kommunale Wahlrecht eingeführt – mit der offiziellen Begründung, dass verheiratete Frauen schon durch ihre Ehemänner vertreten seien. Überhaupt hatten Frauen gegen geschlechtsspezifische Barrieren zu kämpfen, von denen Männer nicht betroffen waren. In einigen katholischen Staaten wie Belgien, Italien und im orthodoxen Bulgarien wurde beispielsweise zunächst nur verheirateten Müttern das kommunale Wahlrecht zugestanden, weil sie als „wertvoller“ galten als kinderlose Frauen. Man kam dagegen nie auf die Idee, bei Männern die Wahlberechtigung von der Zeugung ehelicher Kinder abhängig zu machen. Um die angeblich unvorhersehbaren Folgen eines Frauenstimmrechts zu minimieren, überlegten die Parlamentarier sich alle möglichen Gründe, wie man die Frauen draußen halten könnte: In einigen Staaten wie in Griechenland wurde für Frauen ein gewisser Bildungszensus eingeführt; im Gegensatz zu männlichen Wählern mussten sie Schulbildung nachweisen, was ihnen in diesen Zeiten schon schwer genug gefallen sein musste. In England, Ungarn und Island unterlagen Frauen zeitweise einem Alterszensus, dem zufolge sie erst mit 30 bzw. 40 Jahren ihr Wahlrecht ausüben konnten. Und dann natürlich die Moral: Prostituierten war in Österreich, Spanien und Italien zunächst das Wahlrecht vorenthalten, während ihre Kundschaft natürlich vor oder nach dem Gang zur Urne sich bei den Damen dieses speziellen Gewerbes Erleichterung von ihrer schweren Bürgerpflicht verschaffen durften.
Trauriges Schlusslicht bei der Einführung des Frauenwahlrechts in Europa waren nicht etwa die Schweitzer, wo Frauen seit 1971 wählen dürfen. Nein, es war Liechtenstein. Dieses merkwürdige Land, das Zeitungsberichten zufolge doppelt so viele Briefkastenfirmen wie Einwohner beherbergt und sich nur im Rahmen von Schwarzgeldermittlungen immer mal wieder in Erinnerung bringt, lehnte noch 1971 und 1973 – nach sechs geglückten Mondlandungen übrigens – das Frauenwahlrecht ab. Eingeführt wurde es schließlich 1984.
So interessant diese Fakten sein mögen, so uninteressant ist es offenbar für Frauen zu wählen. Dabei sind wir nicht nur die besseren Menschen, wie wir – mit Ausnahme von Frauke Petry, Beatrix von Storch und Alice Weidel– ohne Übertreibung feststellen können, nein, wir sind auch noch die besseren Wähler bzw. Wählerinnen: Laut einer Emnid-Umfrage aus dem Jahr 2016 würden 17 Prozent der befragten Männer AfD wählen, also jeder Sechste, aber nur 2 Prozent der Frauen. Ein krasser Unterschied! Und warum? Weil wir schlauer sind. Und weil wir dieses Potenzial nutzen sollten, sollten wir wählen gehen und alle Frauen dazu motivieren. Schließlich wird Wählen jetzt sexy und hip und alles. Denn #GERWOMANY ist da!
Am Anfang dachte ich ja, es handele sich um eine neue Form des BDM – in Zeiten, wo Rechte sich als „Identitäre“ ausgeben und als Nerds auftreten, ist ja alles möglich. Aber #GERWOMANY ist Glamour pur. Nicht zuletzt weil Glamour-Chefredakteurin Andrea Ketterer die Aktion ins Leben gerufen hat. Ihr folgten Bild der Frau, Cosmopolitan, Donna, Elle, Emotion, Freundin, Frau im Spiegel, Für Sie, Harper’s Bazaar, Instyle, Jolie, Joy, Lisa, Lust auf mehr, Madame, Ma Vie, Maxi, Myself, Petra, Shape, Vital und Vogue, wobei sich besonders die „Frau im Spiegel“ als Flaggschiff der Demokratie sieht – so heißt es in der Begründung der Redaktion: „Als erste Frauenzeitschrift, die nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs in Deutschland gegründet wurde, fühlt sich ‚Frau im Spiegel‘ auch nach mehr als 70 Jahren täglich der Demokratie und dem Rechtsstaat verpflichtet.“ War mir zwar bisher nicht so aufgefallen, aber egal. Und die mir bis heute völlig unbekannten Zeitschriften „Joy“ und „Shape“ postulieren: „Unsere JOY- und SHAPE-Leserinnen sind frei und selbstbestimmt. Es ist absolut konsequent, dass wir sie mit #GERWOMANY daran erinnern, dass Gleichberechtigung nicht nur in der Liebe, im Job oder nur im ganz persönlichen Umfeld möglich ist, sondern auch in der Politik.“ Ich würde sagen, der Zweck heiligt die Mittel, Mädels. Geht wählen. Informiert euch! Lasst euch bei eurem Besuch auf der Wahl-O-Mat-Website nicht von aufpoppenden Mails eurer Lieblingsshops oder den neuesten Nachrichten zur Rippenentfernung von Frau Wollersheim stören.
Und lasst euch bloß nicht von so Statistiken beeinflussen, die besagen, dass AfD-Anhänger öfter Sex im Auto haben! Wird eh total überschätzt. Aber das ist ein anderes Thema.