Frühlingsgefühle

Mit dem Frühling ist das ja so eine Sache: einerseits ist es wunderschön, wenn nach dem Winter alles wieder langsam ergrünt und jedes Jahr wieder alles irgendwie ein bisschen neu wird, andererseits aber gibt es jetzt auch keine Ausreden mehr für das angenehme Dolcefarniente des Winters. Leider.

Wie? Die Blumenbeete ausmisten? Viel zu nass! Gott sei Dank! Was? Die Garage entrümpeln? Viel zu kalt! Was für ein Glück!

Doch jetzt ist die Uhr umgestellt, die Tage sind länger, und so langsam gibt es keine Rettung mehr, besonders dann nicht, wenn der Gemahl Urlaub hat und es kaum Refugien gibt, in die man sich so als Familienkollektiv vor dem angestauten Tatendrang zurückziehen kann. Was im Übrigen auch unfair wäre. Was man aber wiederum auch irgendwie aushalten könnte.

Vor wenigen Tagen erreichte mich folgende SMS: „Kann leider nicht zu unserem Treffen kommen. Mein Mann hat Urlaub und braucht ständig einen Handlanger.“ Es scheint also ein weitverbreitetes Frühlingsphänomen zu sein, dass in diesen Tagen überall mit den Hufen gescharrt wird, die Rasenmähermesser gewetzt werden, die Schuppen gelüftet werden und das große Ausmisten beginnt! So auch bei uns: Mit Beginn der schönen Tage wurde geräumt und gefegt, aussortiert und weggebracht. Apropos aussortiert: es ist ja unglaublich, was man da alles zutage fördert. Und von was man sich alles nicht trennen kann. Jeder und jede hängt an irgendwas, das dem oder der anderen völlig unbegreiflich ist! „O, in diesem schönen Körbchen hatten wir schon als Kinder unseren Osternester!“ Das kann natürlich nicht weg. „Dieses wunderschöne Adapterstück für den Gartenschlauch haben wir zwar schon zehn Jahre nicht gebraucht, aber so etwas sollte man unbedingt aufheben.“ Sollte man? Sollte man sogar unbedingt! Auf diese Weise füllen sich die kleinen, allein zu diesem Zweck aufbewahrten Mandarinenkisten wieder von ganz allein, wandern von einem Regalbrett zum anderen, dorthin, wo man sie garantiert nie wieder sucht, weil sie vorher zehn Jahre lang woanders standen. Ja, ja, das mit dem Loslassen ist nicht so leicht! Ich kann mich beispielsweise nicht von dem schönen blauen Übertopf trennen, auf dessen Boden sich vor über zwanzig Jahren meine Arbeitskollegen zum Abschied verewigt haben und aus dem wir bei der Abschiedsparty die beste Heidelbeerbowle ever getrunken haben. Nicht etwa, dass ich ihn die letzten fünf Jahre jemals benutzt hätte!

Und so wird jeder von uns bei irgendetwas schwach. Mein Tipp, damit das mal ein bisschen vorangeht: jeder entsorgt die Sachen des anderen. So kommt man ohne großen Herzschmerz durch, denn ehrlich gesagt, erinnert man sich ja doch erst wieder an die ganzen emotionsbeladenen Devotionalien, wenn man sie nach Jahren wieder mal sieht. Und die ganzen komischen Schrauben, Stecker und sonstigen kleinen Teile – also, ich brauch‘ die nicht!

Ruckzuck wäre auf diese Weise so ein Schuppen entrümpelt, und im Anschluss auch gleich noch der Keller und der Dachboden. Allerdings muss man dabei vorsichtig sein, denn man ahnt ja gar nicht, wie viele kulturhistorische Gegenstände in so einem Abstellraum auf ihre Wiederentdeckung warten: wenn etwa ein Jugendlicher in den besten Jahren einen Sauzahn findet, kann er unheimlich viel über die Kunst des ihm bis dahin völlig fremden Gartenbaus lernen, falls er sich nicht schon über den Namen totgelacht hat. Oder ein vermeintlicher Wehrmachtsspaten, der angeblich zum Ausheben von Schützengräben gedient hat, weckt das Interesse an der Geschichte. Im Idealfall. Auf geheimnisvolle Weise ist der in unseren Schuppen gekommen und auf genauso geheimnisvolle Weise wird er beim nächsten Aufräumen, wann auch immer, seine Finder erneut beeindrucken.

Ja und dann war da noch etwas, was auf keinen Fall wegkonnte: die alte Kleinkindrutsche, die jahrelang fast unbenutzt und schon ein wenig bemoost in einer der hintersten Ecke des Gartens stand. „Die stellen wir an die Straße zum Mitnehmen“, rief ich aus, und schneller als sich schauen konnte, saß ein fast vierzehnjähriger Konfirmand obendrauf, erinnerte sich vermutlich daran, wie man noch im Jahr zuvor eines Sommertages samt Hund von ihr in den eifrig aufgestellten Garten-Pool gerutscht war, dass es nur so spritze, und verkündete. „Ich bleib‘ hier sitzen!“

Der Sitzstreik konnte vor Einbruch der Dunkelheit mithilfe einer auf PEE – Post-Entrümpelungsschäden-Eingreiftruppe – beendet werden. Die hat bei dem Wetter bestimmt gut zu tun!

Der Frühling ist da – räumen Sie schön!