Früher war mehr Lametta

Als ich mir aus gegebenem Anlass wieder mal meine alte Weihnachtskolumnen durchlas – die älteste von ihnen nun doch schon acht Jahre alt -, fiel mir der gute alte Loriot-Spruch ein: Früher war mehr Lametta! Für ganz früher trifft das auf jeden Fall zu; früher war irgendwie sowieso viel mehr Weihnachten. Also, ganz früher jetzt. Mit Lametta, das von Jahr zu verkrumpelter am Baum hing, und mit echten Kerzen, die – obwohl sich meine schusselige Seite schon als Kind heftigst bemerkbar machte – nie das Brennen anfingen. Ein Weihnachtswunder, wie ich heute weiß.

Erzählt man heutigen Kindern und jungen Erwachsenen nämlich davon, dass man von echten Kerzen am Baum träumt, vom Bienenwachsduft der Kindheit, dann schaut man in schreckgeweihte Augen, die nicht größer sein könnten, wenn man ihnen vorgeschlagen hätte, sie sollten ohne Einarbeitung auf dem Weihnachtsmarkt als Feuerschlucker anheuern. Man kann leicht den Eindruck gewinnen, dass die jungen Leute heute einen völlig anderen Blick auf die Gefahren des Lebens haben als wir, die wir ohne Sicherheitsgurt und Fahrradhelm aufgewachsen sind und ohne Handy mit Trackingfunktion. Wahrscheinlich ist dieses Gefahrenbewusstsein auch mit ein Grund für das aussterbende Lametta. Lametta wurde wegen seines hohen Bleigehalts als gesundheitsschädlich eingestuft, und da die Jugend ja überhaupt nicht mehr risikobereit ist, wurde bereits vor drei Jahren die letzte heimische Lamettaproduktion geschlossen, Nun müssen Weihnachtsfreaks ihr glitzerndes Weihnachtsgewimmel entweder selbst aus Alufolie schnippeln – oder das billige China-Bling-Bling kaufen, das im Land der Mitte zusammen mit unzähligen anderen Weihnachtsdekorationen hergestellt wird: 70% Prozent unserer Weihnachtsdeko kommt aus China, wo niemand so genau weiß, was die westliche Welt mit Glitzer-Rentieren und singenden Männern in roten Mänteln will. Da kann man schon froh sein, wenn nicht hier und da kleine Fehler unterlaufen, wie vor wenigen Jahren, als sich ein kleines Hitlerkonterfei zwischen Rosenmuster und Zierschnitt auf einen Kaffeepott im Vintage-Look für 1,99 Euro geschlichen hatte. Da könnte natürlich durchaus der Verdacht aufkommen, dass hinter den heute so hippen Baumschmuckartikeln wie Weihnachtsgurken, Glitzerfischen oder Totenkopfkugeln gar keine designerische Absicht steht, sondern dass es sich hierbei um Fehlproduktionen oder mit Glitzer versehene Restbestände aus anderweitiger Produktion handelt. Wie dem auch sei: Weil in China der Klimawandel noch nicht so schlimm ist wie hier und das mit dem Arbeitsschutz nicht so eng gesehen wird, darf neben allem anderen Weihnachtszeug dort glücklicherweise auch Lametta hergestellt werden, das hier allerdings als Sondermüll entsorgt werden sollte.

Aber es ist ja nicht nur das Lametta, das fehlt. Mehr und mehr stelle ich fest, dass auch die Geschenke rar werden, also die richtigen, die die man groß und fett und bunt unter den Weihnachtsbaum stellen kann und die wir vor Jahren noch im Kofferraum unseres Kombis von A nach B und C und zurück gefahren haben. Ganz zu schweigen von den Papiermengen, die es nach Weihnachten zu entsorgen gab – natürlich im Altpapier, wo sonst, es sei denn, es hätten sich Lametta, Feenhaar oder eine kleine Lichterkette darin versteckt…

Was waren das für Weihnachtsvorbereitungen, als ich noch Verstecke suchte für Pakete noch und noch, als der Hermesbote und der Postbote sich bei uns die Klinke in die Hand gaben, die Augen der hiesigen Einzelhändler mich nur so anstrahlten und mein Büro voller anonymisierter Pakete überquoll, weil ich dachte, meine Kinder würden die vielen Kartons für Toner- und Kopierpapierlieferungen halten. Und dann das Einpacken. Abende lang stand ich bei Weihnachtsmusik, aromatisiertem Tee und Kerzenschein und packte ein. Machte Schleifen, klebte Sternchen und hängte noch ein bisschen Deko dran, schrieb kleine Kärtchen für die Beschenkten – und heute: Nix! Kein einziges Päckchen weit und breit, weil ich andere Dinge verschenke – gemeinsame Zeit bei einem schönen Event, Konzert, Theater, Essen – sowas in der Art, damit man auch im neuen Jahr gleich schon wieder ein paar frische Termine hat. Das Praktische daran ist, dass man mit ein wenig Glück einen Geistesblitz für den ganzen Inner Circle der Familie hat. Das Unpraktische ist, dass man damit die ganze Familie an einem Tag X zusätzlich zum Weihnachtsfest zusammenführt – ganz egal ob, die das will oder nicht. Weihnachten ist schließlich kein Zuckerschlecken, und wenn der Geistesblitz erstmal da ist, kann man auf kleine persönliche Befindlichkeiten eben nicht immer achten. Wenn sich für die Großeltern also das Amigo-Konzert als Geschenkidee anbietet, kann es uns und den Enkeln doch nicht schaden, da mal mitzugehen, oder?!

Mit einem kleinen Click kann man auf dieses Weise bis an die zehn Personen glücklich machen kann oder zumindest beschenken – vorausgesetzt, man findet die klitzekleinen Eintrittskarten und Gutscheine, die man irgendwann ausgedruckt hat oder die mit der Briefpost ins Haus flattern, wieder rechtzeitig vor dem Fest – bei dem Chaos auf dem Schreibtisch ist das an sich schon das Weihnachtswunder schlechthin!

Die anderen, die außerhalb dieses erlauchten Kreises, bekommen das gängige Pendant zur Zeit geschenkt: Geld. Manche aus dem Zeitgeschenke-Pool mögen da vielleicht neidisch hinschauen, aber wer nun mit welcher Gabe glücklicher ist oder glücklicher wäre, das kann ich wirklich nicht erörtern. Und eins schon mal gleich vorweg: Getauscht wird nicht!

Doch egal, ob Geld oder Zeit: Um beides schön zu verpacken, fehlt mir noch so ein bisschen die Idee. Es würde ja schon reichen, einen Gutschein oder einen Geldschein irgendwo dran zu hängen. Ich gehe jetzt nochmal los, vielleicht finde ich ja noch irgendwo eine schöne Weihnachtsgurke, ein Glitzertortenstück, einen sprechenden Weihnachtsbären – und wenn nicht, dann backe ich mir was, denn auch hier gibt es inzwischen Formen und Motive, von denen hätte zu Lamettazeiten niemand auch nur geträumt. Aber das hebe ich mir für nächstes Jahr auf!