Feministin? Mensch!
Ich habe einen Mann und drei Söhne. Als sie klein waren, also, die Söhne, habe ich wenig bis gar nicht gearbeitet, um für die Kinder da zu sein. Ich führe den Haushalt (so gut ich kann). Ich gehe zu den Elternabenden (meist allein) und zu den Arztterminen der Kinder (fast immer allein). Das Plakat meiner Lesung ist rosa. Ich versuche regelmäßig Gewicht zu verlieren und schminke mich in der Regel, bevor ich mich in die Öffentlichkeit wage. Ich trage gerne Blusen mit Ausschnitten, Röcke Kleider sowie Schuhe mit relativen Absätzen. Ich flirte gerne und liebe anzügliche Witze. Ich nähe meinem Mann Knöpfe an und lassen mir von ihm die Reifen meines Autos wechseln. Wir finden das okay, weil es uns umgekehrt viel mehr Mühe machen würde.A
Kann ich mich unter diesen Umständen Feministin nennen? Oder Emanze? Oder muss ich mir eingestehen, dass – sollte ich überhaupt jemals dazugehört haben – diese Phase spätestens mit Eintritt in die Mutterschaft vorbei war? „Traditionalisierungsfalle“(1) nennen das die Expertinnen und Experten: Frauen treten auch im Jahr 2020 mit der Geburt ihres Kindes zurück, nehmen den längeren Teil der Elternzeit und stoßen auch immer noch, immer noch auf Unverständnis, wenn sie das nicht tun. Und zwar überall, auch bei Frauen, insbesondere bei Müttern.(2) Nehmen Männer ihre üblichen zwei Monate oder am Ende doch mehr, wird es immer noch kopfschüttelnd als Marotte abgetan, und häufig nutzen Männer die Zeit, um – sollte ihre Frau tatsächlich wieder arbeiten, unterstützt von der Mutter oder der Schwiegermutter – an Haus und Garten zu werkeln, eine große Reise zu machen und manchmal hinterher ein Buch darüber zu schreiben oder zumindest lauthals zu verkünden, wie sehr sie das Leben mit Kind doch verändert hat und erst recht, wie sehr eine Tochter doch den Blick für die Rechte der Frauen schärft. Nicht dass man sich schon in einem Leben ohne Tochter mit Frauen wie der Ehefrau, der Schwester, der Mutter, der Freundin oder der Arbeitskollegin damit hätte beschäftigen können.(3)
Aber zurück zur Traditionalisierungsfalle: Sollte ich vor meinen Kindern emanzipiert gewesen sein, hat es sich darin ausgedrückt, dass ich schon in der Schule mit den Jahrgangschauvis über die Rolle Frau gestritten habe. (Einen von ihnen habe ich übrigens letztens wieder getroffen als Pressesprecher des Bistums Fulda. Warum wundert mich das jetzt nicht?) Simone de Beauvoir und Alice Schwarzer gehörten zu meiner Standardausrüstung. Meine Eltern fragen sich heute noch, was sie falsch gemacht haben, denn ich wuchs in einem Dorf auf, in dem man darüber rätselte, wie sinnvoll es sei, ein Mädchen aufs Gymnasium zu schicken, wenn es später doch einmal heiraten würde. Ursula Scheus Buch „Wir werden nicht als Mädchen geboren, wir werden dazu gemacht“, las ich rauf und runter, keine Veranstaltung der Frauenwoche fand ohne mich statt. Ich rasierte mir weder die Achseln noch die Beine, weil die Männer das auch nicht taten. (Sie erinnern sich an diese dunklen Zeiten?)
Als ich mit Anfang Zwanzig (1990) in einer großen Fuldaer Firma anfing, galt ich bald im ganzen Haus als Emanze, weil ich nicht mit „Fräulein“ angesprochen werden wollte. Zwei Jahre später ließ ich mir – mit Verweis auf den Duden im Jahr 1992 – von der Personalsachbearbeiterin, die sich schon vom Fräulein zur Frau hochgeheiratet hatte, mein Zeugnis umschreiben, weil sie mir im ersten Anlauf das Attribut „Frau“ immer noch nicht zugestehen wollte. Später stritt ich mit allen jungen Müttern, die freiwillig Partys verließen, um sich um die Kinder zu kümmern, während die Männer fröhlich weiterfeierten. Und ich war mir sicher, ich würde alles, wirklich alles anders machen.
Während ich mich noch darüber aufregte, dass an meinen weiteren Arbeitsplätzen Frauen, die eine Meinung haben, insbesondere von anderen Frauen, die keine haben, nicht gut gelitten waren, wurde ich schwanger. Zwar ging ich selbst nach den Zwillingen ziemlich schnell wieder auf eine halbe Stelle und sogar auf Home Office, als es das Wort zumindest im Vogelsberg kaum gab, aber das ging nur mit Hilfe meiner Schwiegermutter. Und ja, es war auch nur eine halbe Stelle. Mein Mann und ich hatten das nicht explizit abgesprochen, aber es war klar, dass wir beide das so wollten. Ich auch. Wirklich. Als dann noch Umstände eintraten, die es erforderlich machten, dass einer von uns sich über Jahre hinweg rund um die Uhr mit den Kindern befassen musste, war klar, wer diese Person sein würde. Ich war raus aus dem Showgeschäft, aus der Berufslaufbahn, dem Weiterkommen, der Rentenkasse. Und ich war es gerne. Ich hätte nirgendwo anders sein wollen, als bei meinen Kindern, als sie mich brauchten. Es gab keinen Zweifel, nicht den geringsten. Und dass das damals alles so richtig war, stimmt heute immer noch.
Und in den Jahren in verschiedenen Krankenhäusern des Landes wurde offenbar, wer im 21. Jahrhundert immer noch für die Kinder zuständig ist: Die Kliniken saßen voll von Müttern. Ich will damit nicht sagen, dass solche Zeiten für Väter einfacher sind, im Gegenteil. Sie waren im Job, weg vom eigentlich Wichtigen, mussten funktionieren, für das Einkommen sorgen, egal wie sie sich fühlten. Aber sie blieben eben auch am Ball für die Zeit nach der Krise und in der Rentenkasse. Apropos Rentenkasse: Dass ich aber jetzt, mit über Fünfzig, und nach mehr als dreißig Jahren Berufstätigkeit – und drei so gut wie erwachsenen Kindern – gerade erst vierstellig bei der Rentenberechnung geworden bin, finde ich unhaltbar. Auch wenn es meine Schuld ist: Aus feministischer Sicht habe ich alles falsch gemacht.
Aber hätte es Alternativen gegeben? Gibt es sie heute? Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt, dass erwachsene Frauen in Deutschland im Durchschnitt täglich 87 Minuten mehr Care-Arbeit verrichten als Männer, was einem Gender Care Gap von 52,4 Prozent entspricht.(4) (Das heißt, Frauen verrichten um die Hälfte mehr Care Arbeit als Männer.) Der größte Gender Care Gap (110,6 Prozent) zeigt sich im Alter von 34 Jahren: Frauen leisten dann durchschnittlich 5 Stunden und 18 Minuten Care-Arbeit täglich, Männer dagegen nur 2 Stunden und 31 Minuten. Die Zeit muss ja irgendwoher kommen, oder? Die Stiftung kommt zu dem Schluss, dass die Entscheidung von Frauen, nach der Geburt eines Kindes erstmal nicht mehr zu arbeiten, keine private ist, sondern eine strukturelle: das Fehlen von Alternativen. Machbare Arbeitszeitmodelle, die für Männer und Frauen gleich sind, Betreuungsmöglichkeiten, die auch Notfälle auffangen. Sowohl das Ansehen von Teilzeitarbeit als auch von Care-Arbeit und damit auch die materielle Aufwertung von Letzterem müssen verbessert werden. Es muss insbesondere für Familien – und damit meine ich alle erwachsenen Beteiligten – eine Wahl geben, eine gute Wahl, und keine, die im stillen Kämmerlein von zwei Elternteilen getroffen wird und einen davon nachhaltig benachteiligt.
Und noch etwas: Wir müssen alle Entscheidungen akzeptieren. Ich persönlich neige dazu, Frauen, die, nachdem die Kinder groß und fast schon aus dem Haus sind, nicht wieder arbeiten, gelinde gesagt, merkwürdig zu finden. „Wie können sie nur – sie machen sich wirtschaftlich bis ans Ende der Tage von einem Mann abhängig und unterlaufen alle Versuche von Frauen nach gesellschaftlichen Strukturen für ein gleichberechtigtes Arbeitsleben!“ Sie können, weil sie in einer Gesellschaft leben, die das ermöglicht. Damit muss ich mich abfinden und das ist auch gut so. Sie können aber auch, weil sie in einer Gesellschaft leben, die es für Frauen, gerade in den niedrig besoldeten Frauenjobs, nicht lukrativ macht zu arbeiten.(5) Solange Steuerberater und selbsternannte Experten Tipps geben wie „Wenn du angemeldet oder mehr als 20 Stunden arbeitest, hast du viel mehr Abzüge“, der Mann aber fröhlich weiterarbeitet, weil er a) mehr verdient und b) der Mann ist, dann kann etwas nicht stimmen. „Ehegattensplitting“ und „Familienversicherung“ sind Zauberwörter, die das Arbeiten für Frauen weniger attraktiv machen.
Für Männer in Einzelfällen übrigens auch: Ich kenne einen Hausmann in meinem weiteren Bekanntenkreis. Ein Exot, und natürlich fragen sich alle, was er so den ganzen Tag über treibt, und natürlich auch, was es für sein Ego bedeutet, finanziell von seiner Frau abhängig zu sein. Merken Sie was? Ich indes frage mich, ob er überhaupt ein richtiger Mann ist… Merken Sie noch was?
Kommen wir zurück auf die Frage vom Anfang: Kann ich Emanze sein? Feministin? Ja ich kann, und wir alle können, auch die Männer. Lassen sie uns das Schubladendenken vergessen und eine einfache Kategorie aufmachen. Die Schauspielerin Maisie Williams hat mal gesagt: „Wir sollten aufhören, Feministinnen ‚Feministinnen‘ zu nennen, und lieber damit anfangen, Menschen die nicht feministisch sind, ‚sexistisch‘ zu nennen – und alle anderen sind dann einfach nur Menschen. Leute kriegen nur ein Label, wenn sie schlecht sind.“(6)
Quellen:
1: Julia Wadhavan, 21.5.2017, Ab wann ist jemand Feministin? https://www.bento.de/politik/feminismus-heute-was-der-begriff-bedeutet-und-ab-wann-jemand-feministin-ist-a-00000000-0003-0001-0000-000001331261 (Zuletzt angesehen am 7.3.2020)
2: Andrea Stettner, 28.11.2017, Frau nimmt nur acht Wochen Elternzeit – so heftig reagiert ihr Umfeld, https://www.merkur.de/leben/karriere/mutter-geht-arbeiten-baby-acht-wochen-passiert-zr-9398796.html (Zuletzt angesehen am 7.3.2020)
3: Margarete Stokowski, 16.4.2019: Wie kann ich als Mann Feminist sein? https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/wie-koennen-maenner-feministen-sein-kolumne-a-1263070.html (Zuletzt angesehen am 7.3.2020)
4: Prof. Dr. Maria Wersig, 27. November 2017, Eindeutige Faktenlagen https://www.gwi-boell.de/de/2017/11/27/eindeutige-faktenlage, (Zuletzt angesehen am 7.3.2020)
5: Marcel Fratzscher, 1. Dezember 2017, Frauen und Kinder fördern – nicht Hochzeiten, https://www.zeit.de/wirtschaft/2017-11/gleichberechtigung-frauen-steuern-gender-pay-gap-regierung, (Zuletzt angesehen am 7.3.2020):
„Das Steuersystem setzt vor allem verheirateten Frauen massive Anreize, nicht oder nur geringfügig zu arbeiten. Wegen des Ehegattensplittings, bei dem die Einkommen beider Ehepartner zusammen steuerlich veranlagt werden, müssen Frauen häufig schon ab dem ersten Euro ihres Verdiensts den maximalen marginalen Steuersatz ihres Ehepartners zahlen. So bleibt oft bei einem recht geringen, eigenen Einkommen nur wenig davon übrig. Hinzu kommt die Mitversicherung im Sozialsystem, die eine eigene berufliche Tätigkeit der mitversicherten Ehepartner noch weniger attraktiv macht.“
6: Lea Birke, März 2020, Brigitte, Seite 71,