Drückt euch!

Diese Woche war Weltknuddeltag. Dieser auf den ersten Blick vielleicht alberne Tag, der im Original „National Hugging Day“ heißt und vor über dreißig Jahren von einem amerikanischen Pfarrer ins Leben gerufen wurde – ich hoffe schwer, aus lauteren Gründen – sollte den Menschen ursprünglich über die düstere und kalte Jahreszeit helfen. Bekannt ist nämlich, dass der Mensch Berührungen fast so nötig braucht wie die Luft zum Atmen. Werden wir umarmt, schütten wir Glückshormone aus, Oxytocin und Dopamin und wie sie alle heißen. Umarmungen sorgen dafür, dass wir ein wenig strahlender und zugewandter durch die Welt gehen, stressresistenter sind, der Blutdruck besser wird, das Immunsystem stärker. Da sollte man eigentlich meinen, dass einen an der Arbeit der Chef oder die Chefin jeden Morgen schon aus lauter Eigennutz drücken müsste – vorausgesetzt natürlich, man wollte das, was ja nicht immer der Fall ist. Aber man könnte sich dafür ja auch einen netten oder sympathischen Kollegen aussuchen. Oder beides. Soll’s ja geben…

Besonders für Babys und Kinder ist körperliche Zuwendung überlebenswichtig, sie bekommen sie auch meist ganz selbstverständlich, weil sie so goldig sind und in der Regel die renitentesten Erwachsenen dazu bringen können, sie zu herzen und zu knuddeln. Kinder holen sich ihre Knuddeleinheiten selbst, ganz lange und ganz selbstverständlich, etwa, wenn sie zum Kuscheln zu ihren Eltern oder Großeltern oder wem auch immer auf die Couch krabbeln. Und jedes Mal, wenn sie sich knuddeln lassen, knuddeln sie ja auch zurück und machen damit auch die Knuddler glücklich und gesund. Warum nur sagt man dann zu seinen Kindern irgendwann, sie seien jetzt zu groß zum Kuscheln – und die glauben es auch noch! Wie blöd kann man eigentlich sein?! Kostenloses Wohlgefühl und Gesundheitsvorsorge in einem – wir sollten solange daran festhalten wie möglich und uns alle einfach viel mehr drücken.

Wenn nun Drücken und Gedrücktwerden erwiesenermaßen glücklicher und zugewandter oder zumindest zufriedener machen, liegt natürlich der Umkehrschluss nah, dass die vielen Hater, die so im Netz und in der Realität unterwegs sind und beleidigen und prollen, was das Zeug hält, einfach nur chronisch unter-drückt sind, also zu ungedrückt, zu wenig umarmt. Nicht dass jetzt jemand denkt, ich wollte losziehen und böse Menschen mit meinen Umarmungen belästigen (getreu dem Motto aus einem absurden Theaterstück, dessen Titel und Autor mir leider entfallen sind, das ich mir aber seit der Schulzeit, also seit etwa 35 Jahren, merken kann: „If you can’t kill him with hate, kill him with love.“). Aber gut wär’s schon: Man könnte sich ja mal in eine Nazi-Demo schmuggeln und die Jungs da mal schön knuddeln. Würde zwar Überwendung kosten, könnte aber vielleicht die Welt retten. Oder Donald Trump. Der ist wahrscheinlich zum letzten Mal als Baby aufrichtig geknuddelt worden und jetzt haben wir den Salat. Am besten wäre natürlich, die Mangelgedrückten würden sich da mal selbst drum kümmern und sich so verhalten, dass sie außer ihrem Schäferhund vielleicht noch jemand mag und sie ab und zu fest umarmt. Nur mal so als Tipp. Oder sie gehen zu Veranstaltungen der „Free-Hugs-Bewegung“. Dort gibt‘s Umarmungen gratis. Einfach so, im Vorbeigehen. Und selbst solche Umarmungen, also die von völlig unbekannten Menschen, machen angeblich glücklich. Und glückliche und zufriedene Menschen, die sich nicht andauernd über irgendwas aufregen müssen, neidisch sind oder Angst haben, jemand könnte ihnen was wegnehmen, sind einfach besser für die Welt.

Dieser Theorie nach wäre ich auf jeden Fall sehr gut für die Welt, denn ich werde viel gedrückt, was natürlich daran liegt, dass ich selbst ein wenig drückwütig bin. Es vergeht kein Tag, an dem ich von meinen Jungs zuhause nicht mindestens fünf-, wenn nicht zehnmal umarmt werde. Meistens freiwillig. Und natürlich drücke ich sie auch. Und wie. Ich umarme meine Freundinnen und Freunde, wenn wir uns sehen und verabschieden. Und natürlich meinen Mann. Meine Mutter, meine Geschwister, ja, auch meine Schwiegermutter. Wir haben also gute Chancen, froh und glücklich miteinander alt zu werden, ohne Bluthochdruck, dafür mit jeder Menge Glücksgefühle, starken Nerven und einem irren Immunsystem.

Also los: Drückt und knuddelt, was das Zeug hält. Die Welt braucht mehr Umarmungen!