Digitale Verwaltung
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Digitale Verwaltung
Ich brauche einen Reisepass. Der Brexit ist schuld – da ich nicht sonderlich weit reise, hatte ich die Existenz dieses bedeutenden Dokuments völlig vergessen. Aber jetzt ist es so weit. Der Beschaffung eines Reisepasses hat der Gesetzgeber die Beschaffung von Passfotos vorgeschaltet. Biometrischen Passfotos, wie Sie alle wissen, Fotos also, die mit voller Absicht so unvorteilhaft wie möglich aussehen sollen. Nichtsdestotrotz ging ich zur Fotografin meiner Wahl – die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Auch die Hoffnung darauf, dass die Bilder digital ans Bürgerbüro übermittelt werden können. Diese Möglichkeit gibt es tatsächlich NICHT. Das Internet ist für uns alle Neuland, sage ich nur. Bei welcher frischgebackenen Trägerin der höchstmöglichen deutschen Ehrenwürde ich das geklaut habe, überlasse ich jetzt mal dem historischen Wissen meiner Leserschaft. Damit ich Ihnen nichts Falsches erzähle, habe ich für diese Glosse extra nochmal gegoogelt: „Reisepass online beantragen“ – keine Chance. Dafür fand ich auf der Website des Bundesinnenministeriums die Seite „Moderne Verwaltung“, auf deren Unterseite wiederum „Digitale Themen verständlich erklärt“ werden. Das Modul 1 lautet „Einführung in neue Technologien“ und widmet sich in einem elfminütigen Video den Schlüsseltechnologien Big Data, Blockchain, Künstliche Intelligenz, Maschinelles Lernen und Kollektive Intelligenz und der Frage, wie diese sinnvoll in der öffentlichen Verwaltung eingesetzt werden können – offenbar ohne es zu tun. Vielleicht eignen sich diese Technologien auch gar nicht für die Beantragung eines Reisepasses. Ich sage nur: Überqualifiziert. Um dieses Dokument zu bekommen, verweist die Website auf das örtliche Bürgeramt. Da hatte ich ohnehin schon einen Termin ausgemacht. Sogar online. Jawohl!
Leider konnte ich die Passfotos nach dem Fotografieren nicht direkt mitnehmen, und da man sie nicht digital übermitteln kann, nahm ich gerne das Angebot meiner serviceorientierten Fotografin an, dass ich ja schon mal das Dokument beantragen könnte und sie die Bilder ins Bürgeramt bringt. Dann müsste das laut Website der Stadtverwaltung kompetente Personal die beiden Dinge nur noch zusammenbringen. Gute Idee, wäre da nicht das Problem mit dem Servicegedanken in öffentlichen Einrichtungen. Man kann dort nämlich nicht nur nicht online Bilder übermitteln, man kann dort auch nicht einen fertigen Antrag so lange liegen lassen, bis die Bilder physisch vorliegen. Das ist leider im Ablauf nicht vorgesehen. Ohne Bilder kein Antrag – da nutzten mir auch der schönste Online-Termin und die freundliche Dame am Schalter nichts, die mir gerne geholfen hätte, aber leider, leider gab es das System nicht her. Bei solchen Anlässen wird mir immer schmerzhaft bewusst, wer sowohl das Systems als auch das Salär seiner Menschen mithilfe von Steuern und Gebühren finanziert. Service wäre also durchaus eine Möglichkeit, um den Brötchengebern ein wenig Anerkennung zu zollen. So habe ich das auf jeden Fall in meinen verschiedenen Arbeitsverhältnissen vom Edeka-Laden über den Landgasthof bis hin zum Buchladen und verschiedenen Vertriebsabteilungen gelernt.
Egal. Es gab eine neue online Termin-Vereinbarung (Im Gegensatz zur Online-Termin-Vereinbarung). Den vereinbarten Präsenztermin nahm ich freudestrahlend mit vier (!) völlig identischen und daher auch völlig gleich bescheuerten biometrischen Passfotos in Präsenz wahr. Die nette Dame schnitt sich ein Bild ab und reichte mir schon mal die anderen drei. Wozu eigentlich? Sie nahm meine Fingerabdrücke, sammelte meine Personalien und gab mir am Ende das abgeschnittene Bild auch noch zurück. Häh? Sie braucht das gar nicht? Was hat sie damit gemacht? Wie kommt mein Bild in den Pass? Und warum zur Hölle kann ich es nicht digital übermitteln, wenn es physisch überhaupt nicht gebraucht wird?
Ja, das käme dann bald, also, dass alles digitaler würde, bekam ich zu hören, und dann würden auch die Bilder vor Ort im Bürgerbüro gemacht. Ich hoffe, digital. Nicht, dass dann ein Polaroid oder so etwas dabei rauskommt, das dann gescannt werden muss. Möglich wär’s. Warten wir’s ab. Es ist ja vieles für uns alle Neuland. Immer wieder.
Die Passfotos liegen übrigens zusammen mit vielen anderen solcher Werke, die man auch noch unnötigerweise niemals einzeln, sondern immer mindestens im Viererpack bekommt, irgendwo im Schrank. Dort, wo man immer mal Dinge sucht, von denen man nicht weiß, ob und wann man sie jemals braucht und von denen sicher ist, dass man sie im letzten Fall dort nicht findet.
Doch darüber schreibe ich dann ein anderes Mal.