Die Zwanziger kommen!
„Du siehst aber müde aus!“ Das sagte kurz vor Weihnachten ein netter Herr zu mir, der ab und zu seine Nase in mein Büro steckt und es dieses Mal tat, als ich mit schreckgeweihten Augen eine E-Mail öffnete, in der mir eine Deadline von Mitte Februar auf Mitte Januar vorverlegt wurde – und das mit Weihnachten, Silvester und Neujahr im Genick – die Zeit, in der selbst ein emsiges Land wie Deutschland für mehrere Wochen in die Winterstarre fällt. Ich schaute auf meinen Kalender und strich meinen Urlaub am 2. Januar durch, um alle nötigen Maßnahmen zu treffen. Drei Damen aus meinem Team taten es mir gleich. Ich nutzte den Moment, um wieder mal mit großem Entsetzen auf meinen Terminkalender zu blicken, der bis zum Fest noch randgefüllt war, und ich fragte mich, warum um Himmels Willen in der letzten Arbeitswoche noch eine Betriebsversammlung und ein Erster-Hilfe-Kurs liegen müssen, und ich überlegte mir, dass ich mich bei dem Kurs ja zu Testzwecken als Koma-Patientin zur Verfügung stellen könnte, was meinem energetischen Zustand so kurz vorm Fest durchaus entgegengekommen wäre.
Aber ich will mich ja nicht beschweren. Selbst gewähltes Schicksal, würde ich sagen, denn neben den vielen dienstlichen Terminen hatte ich in diese Tage auch noch fast jeden Tag etwas Privates gelegt: Ich ging essen mit dem Pilates-Kurs, um mir an einem Abend alle, wirklich alle in dem vergangenen Jahr abtrainierten Kalorien wieder draufzuschaffen. Darauf erhoben wir in schöner Frauenrunde die Gläser und tranken auf unser Powerhouse! Das muss bei allem Stress auch mal gehen, finden Sie nicht? Genauso wie das das ultimative, stimmungsvolle Weihnachtskonzert in Schlitz, für das wir im August schon die Karten hatten – zu einem Zeitpunkt, als sich im Dezember noch kaum ein Termin befand. Konnte ja keiner ahnen, dass da noch was dazukommt! Dann natürlich auch das traditionelle Weihnachtstreffen mit den Schulfreundinnen in Frankfurt, das nun durch glückliche Fügung doch erst im neuen Jahr stattfindet, aber auch hier schon randvoll umzingelt von Neujahrstreffen, Neujahrskonzerten und Neujahrstheatern aller Art. Blieben noch der Weihnachtsmarkt zum 4. Advent, wo ich wie in jedem Jahr das Café betrieben habe, und natürlich der Wunsch, einen Tag drauf vielleicht doch nochmal den Fuldaer Weihnachtsmarkt zu besuchen, der aber dann doch den zeitlichen Realitäten zum Opfer gefallen ist. Am Morgen vor Weihnachten habe ich mich dann vom Osteopathen nochmal so richtig quälen lassen, um möglichst fit, gelenkig und schmerzfrei bereit zu sein für die großen Dinge zum Jahresende und zum Jahresanfang. Wer weiß, wofür es gut ist.
Wahnsinn, oder? Ich blickte auf meine To-Do-Liste und stellte fest, dass ich so kleine Dinge wie „Weihnachtskarten schreiben“ oder „Geschenke kaufen“ unbedingt noch vor Weihnachten erledigen müsste, andere unbedingt noch vor Silvester. Auch diese Tage schienen vor kurzem noch frei verfügbar und wurden entsprechend vollgeknallt. „Wenn die stille Zeit vorbei ist, dann wird es auch wieder ruhiger“, sagte einst Karl Valentin. Ich weiß ja nicht, ob er sich da nicht vielleicht doch vertan haben könnte. Wieder fällt mein Blick auf meine To-Do-Liste, die eigentlich ein Heft ist.
Anfang letzten Jahres habe ich es nach einem Vortrag über Zeitmanagement angefangen. Ein Heft anstelle von losen Zetteln, hieß es, hat unglaubliche Vorteile. Welche das sein sollen, hat sich mir zwar nicht erschlossen, und geholfen hat es mir auch nicht, aber es sieht beeindruckend aus. Und erschreckend, denn die erste Seite, die im Januar 2019, beginnt mit „aus 2018“. Und auf dieser Seite ist von allen Seiten in dem Heft, immerhin 26, am allerwenigsten durchgestrichen. Zwölf von 20 Aufgaben aus dem letzten Jahr, also aus 2018, sind noch unerledigt und ich frage mich, ob es sinnvoll ist, sie ins neue Jahrzehnt mitzuschleppen. Aber irgendwie habe ich mich auch schon ganz schön an sie gewöhnt. Auf fast allen anderen Seiten ist es mir gelungen, das meiste zu erledigen; manchmal konnte ich nach einiger Zeit ganze Seiten abhaken. Dennoch schauen mich zwischendurch einige unselige Posten wie „Ablage 2017“ oder „Steuer 2018“ vorwurfsvoll an. Ich finde, sie haben es verdient, auch im neuen Heft wieder mitgenommen zu werden – schließlich haben sie sich hartnäckig gehalten. Und wie heißt es doch so schön: Neues Spiel, neues Glück!
Und heute beginnen sie dann also, die Zwanziger. Ob sie golden werden, müssen sie erst noch zeigen. Vielleicht liegt es an uns, sie ein wenig zum Glitzern zu bringen. Das schreibe ich gleich mal auf mein neues To-Do-Heft. Vorne drauf:
Die zwanziger Jahre beginnen! Let them swing!
P.S.: Ich habe gelesen, dass ein Jahr wie 2020 nur alle 101 Jahre erscheint. Das letzte war 1919, das nächste ist 2121. Nicht alle Menschen erleben ein solches Jahr, noch dazu eines mit einem Tag mehr als sonst. Wir sollten all das gut nutzen!