Die Rosenkohlmeditation
Die ganze Woche über bin ich am Rennen. Und am Beeilen. Die Essenszubereitung findet in der Regel zwischen Tür und Angel, also zwei Terminen oder Aufträgen, statt und stört mich definitiv im Tagesablauf. Nicht jeden Tag gelingt es mir, die frühkindliche Prägung auf Mittagessensversorgung meiner Familie abzuschütteln und auf andere – weibliche – Schultern zu verteilen und die Ehre des Kochens für drei Jungs und Männer meiner Schwiegermutter zukommen zu lassen. Auf diese Weise habe ich die Kunst des Schnellkochens entwickelt. Es ist eine kreative Mischung aus Erhitzen und Akkordschnippeln, aus Zusammenschütten, Resteverwerten und mitunter auch einem Maggi-fix-Pimp-Up. Und natürlich einer ausgeklügelten Herdplatten-Logistik, die ich inzwischen ziemlich perfektioniert habe. Auf diese Weise gelingen mir Gerichte, über deren Qualität und Schnelligkeit der Fertigstellung sich mein Mann auch nach inzwischen 25-jähriger Beziehung immer noch wundert. Sie nicht, liebe Damen, denn Sie wissen, wovon ich rede.
Eigentlich aber, eigentlich, koche ich sehr gern. Und gut, wenn auch immer mehr so, wie meine Mutter und meine Oma in Heubach schon gekocht haben. Und obwohl ich in Restaurants gerne die Quinoa-Bowls wähle oder die Falafel-Burger, bin ich am heimischen Esstisch Fan von Schweinebraten mit Klößen und Karotten mit Frikadellen. Frühkindliche Prägung halt, da machste nix. Und weil das so ist, genieße ich es, wenn ich mir wenigstens am Sonntag Zeit nehme, zu kochen. Lange. Also, für meine Verhältnisse. Und manchmal, mit ein wenig Glück und Muße und den richtigen Zutaten, gelingt mir die Quadratur des Kreises: Kochen und Meditieren in einem. Letzten Sonntag war es wieder so weit: Der Schweinebraten schmorte schon schön im roten Bräter vor sich hin, gebettet auf viele Zwiebeln und Karotten, und vor mir lagen drei Tüten Rosenkohl: zweieinviertel Kilogramm, ca. 120 bis 150 Röschen. Sie alle wollten geschält werden und ich machte mich ans Werk und genoss in aller Ruhe die Zeit, die verging, während sich immer mehr der frischgeschälten kleinen grünen Wunderknospen in der Spüle bei einem Bad im kalten Wasser erfrischten und der Berg aus Rosenkohlschalen immer höher wurde. Hellgrün, ganz zart und luftig türmten sich die abgeschälten Blätter und verströmten ihren wunderbaren Rosenkohlduft. Zwischendurch übergoss ich in Seelenruhe immer mal meinen Braten und freute mich, wenn das Wasser in dem Bräter zischte und die schöne braune Farbe annahm, die zuvor durch mehrmaliges Reduzieren entstanden war. Das Nichtstun rundete ich durch kleine, gezielte Beckenbodenübungen ab, der innere Fahrstuhl im unteren Stockwerk zog sanft nach oben und wieder zurück, ganz so, wie es meine Pilates-Trainerin seit Jahren in den Trainingsraum und seit Monaten in den virtuellen Raum haucht, und mein Powerhouse freute sich gemeinsam mit meinen Sitzbeinhöckern bis hinauf zum Kronenpunkt. Und weil es grade so schön war, hängte ich als Höhepunkt dieses spirituellen Vormittags noch eine haptisch äußerst inspirierende Kloßteigmeditation an und freute mich, dass ich für ein paar Leute mehr kochte und somit zwölf der goldgelben weichen, leicht klebrigen Bälle formen konnte, die alsbald für ihr Bad im heißen Wasser bereit waren.
Ach, war das schön! Es gibt im Haushalt viele solcher Tätigkeiten, deren Charme und Potenzial man erst erkennen muss. Bügeln ist ja auch so was. Während aus dem Chaos im Wäschekorb nach und nach ein feingeordnetes und saubergestapeltes duftiges Kunstwerk auf dem Esstisch wird, kann man seinen Gedanken nachgehen. Und die – und das ist das Schöne – müssen zu gar nichts führen, können einfach so hin- und herschweben, weil das Ergebnis – auf das wir ja stets verweisen wollen – auf dem Bügelbrett (oder am Herd) entsteht. Reisepläne, Bücher, Unterhaltungen, Spaziergänge, Zitate – Gedanken kommen und gehen und mit ein bisschen Glück bleibt irgendwas hängen und setzt sich fest und mit ein bisschen Glück auch nicht.
Was die Essenszubereitung betrifft, hilft mir diese Einstellung stets über einen Anflug von Frust hinweg, der sich breitzumachen droht, wenn mein zweieinhalb Stunden lang zubereitetes Essen – wohlwollend geschätzt – nach 20 Minuten verputzt ist. Selbst wenn ich es mit der Zahl der Esser multipliziere und dazu noch die Blitzresteverwertung am nächsten Tag einrechne, ergäbe das eine sehr frustrierende Bilanz, zumal ja auch die geistige Leistung, die Kochkunst an sich und das Einkaufen nicht mitgerechnet sind. Wie gut, dass das alles nicht zählt, wenn man in sich ruht.
Dem Rosenkohl sei Dank.