Die merkwürdige Familie des Fräulein Kink

Kommen wir gleich zur Sache: Diese Familie ist der Hammer. Fängt man erst einmal an, sich mit ihr und ihren Mitgliedern zu befassen, macht man ein richtiges Fass auf, denn nirgendwo sonst ist die Vielfalt der einzelnen Familienmitglieder so groß wie hier – vom Abendhandschuh bis zum Zweifingerhandschuh finden sich nach ersten relativ schnellen Internetrecherchen 170 verschiedene Mitglieder des Handschuhclans, was vermutlich nur die Spitze eines Eisberges ist. Noch dazu kann man ihre Anzahl durch schlichtes Weiterkreuzen fast beliebig vermehren. Man könnte zum Beispiel aus dem Damenhandschuh noch einen Damenwollhandschuh machen, einen Damen-Saunahandschuh oder wäre das dann vielleicht ein Damensauna-Handschuh?

Es gibt in dieser Familie wie in jedem guten Verein die nützlichen, die Arbeitstiere, die Arbeitshandschuhe. Diesen fleißigen Gesellen begegnet man fast überall – sie sind als Arzthandschuhe, Feuerwehrhandschuhe, Gartenhandschuhe, Kochhandschuhe, Laborhandschuhe, Inspektionshandschuhe, Meisterhandschuhe, Montagehandschuhe, Sanitäterhandschuhe, Untersuchungshandschuhe oder Uniformhandschuhe am Start und tummeln sich überall, wo es was zu tun gibt. Mehr oder weniger zumindest. In Grenzbereichen darf man sich fragen, ob Clownhandschuhe, Torwarthandschuhe, Taucherhandschuhe oder Touchscreen-Handschuhe in den Bereich Arbeit oder Hobby fallen, doch so ist das eben in einer Familie: Manche Mitglieder haben einfach viele Talente, um nicht zu sagen, spezielle:

Für den ganz besonderen, eher sehr privaten Einsatz kommen Bracli-Handmanschetten zum Einsatz, Domina-Handschuhe, Erotik-Handschuhe, Netz-Handschuhe, Fräulein-Kink-Handschuhe. Letztere wolle ich zu Anschauungszwecken gerne mal bestellen, allerdings sprengte das Sonderangebot von 219 Euro das Budget und hätte darüber hinaus auch für handgearbeitete Hirschleder-Handschuhe gereicht – dann allerdings für einen anderen Zweck.

Obwohl es natürlich darauf ankommt, was man draus macht…

Etwas günstiger zu haben wäre ein G-Punkt-Massagehandschuh, der für 3,99 ins Rennen geht. Ihn könnte man multifunktional sicher auch zum Gurkenschälen verwenden, nicht verwechseln allerdings sollte man ihn mit dem Fellpflegehandschuh, der dann eher für das Haustier oder das Reitpferd gedacht ist. Obwohl natürlich gerade Verwechslungen und Zufälle schon häufig zu den erstaunlichsten Resultaten geführt haben. So könnte man sich sicherlich bereichsübergreifende Einsatzgebiete für den Peeling-Handschuh, den Naturgummi-Handschuh oder auch den Metzgerhandschuh vorstellen, wohingegen der Fehdehandschuh in diesem Rahmen zu vermeiden wäre, und ich denke, auch der Unisex-Handschuh gehört hier nicht hin, selbst wenn sein Name anderes vermuten lässt.

Über diese Dinge erhaben sind natürlich die mondänen Handschuhe, die man so aus alten Filmen kennt. Der Hepburn-Handschuh ist sogar nach seiner Trägerin benannt, es gibt Satinhandschuhe, Spitzenhandschuhe, lange Opernhandschuhe, Samthandschuhe. Von diesen sollte man übrigens immer welche bei sich tragen, wer weiß, für wen man sie mal braucht. Sie sind auf jeden Fall die Diven der Familie, und in gewisser Weise gibt oder zumindest gab es sie auch für Männer, und zwar zu Zeiten, als Männer sich noch für den Sonntagsausflug herausputzten und Hut und Handschuh trugen, Lederhandschuhe natürlich, die damals gewissermaßen zur Grundausstattung des modebewussten Mannes gehörten.

Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigte, fragte ich mich, wie man einen Handschuh richtig auszieht. Also, dass man das nicht, wie ich das meistens mache, mit den Zähnen tut, ist mir schon klar, aber welche Hand entblättert man zuerst und bei welchem Finger fängt man an? Handschuhe langsam auszuziehen und sein Gegenüber dabei anzuschauen, hat ja auch so seine Effekte, dachte ich und suchte im Netz nach Filmen, alten Filmen, in denen elegante Menschen elegante Handschuhe ausziehen. Was soll ich Ihnen sagen? Alles, was ich zum Thema Handschuhe aus- und anziehen gefunden haben, waren Tutorials, die sich mit dem richtigen Anziehen steriler Einweghandschuhe und dem hygienischen Ausziehen benutzter Einweghandschuhe beschäftigten. Das war zwar unromantisch, brachte mich aber zur nächsten großen Gruppe dieser irren Familie.

Und da wird es nun wirklich spannend – vom sterilen OP-Handschuh des begnadeten Herztransplanteurs bis zum nicht mehr, vielleicht nie gewesenen sterilen Handschuh seines Kollegen, dem Prokotologen, ist es manchmal auch räumlich nur ein kleiner Schritt, doch die Reise der Einweghandschuhe führt nicht nur durch OPs und Arztpraxen, durch Pflegeheime und Mal-Ateliers, sondern auch von der Sterneküche direkt an den Ort, wo der unverdauliche Rest wieder das Tageslicht erblickt und eine Reinemachefrau versucht, diese Reste wiederum zu beseitigen. Ist jetzt der Transplanteurhandschuh mehr wert als der der tapferen Klofrau oder leisten sie am Ende alle ihren Anteil zum Gelingen des großen Ganzen? Eine Frage, die sich weit über den Handschuhkosmos hinaus stellt und die wir hier heute sicher nicht abschließend besprechen werden.

Kommen wir zum Schluss noch zu denjenigen Fingerkleidern, die gerne vergessen werden, so wie alle, die still und leise ihre Dienste tun – auch hier böte sich im Übrigen ein philosophischer Diskurs an -, die ganz normalen Winterhandschuhe. Die gestrickten aus Polyester oder echter Wolle, die man, sobald es vorübergehend wärmer wird, gerne mal irgendwo liegen lässt – nicht umsonst sind sie der eigentliche Ursprung dieses Projekts und Buches. Erinnert ihr euch noch daran, wie man früher unsere Kinderhandschuhe mit einer Häkelschnur verbunden hat und durch die einzige Winterjacke gezogen hat? Meistens hatte die Oma die Handschuhe gestrickt, warme Winterfäustlinge, und wenn man sie verlor, hatte man erstmal keine mehr, denn die nächste Stadt war weit und das Stricken brauchte auch seine Zeit. Ich bin später dazu übergegangen, eines Winters für meine drei Söhne zusammen mindestens neun Paar Ski-Handschuhe zu kaufen, alle gleich: So konnte ich verlorene immer ersetzen. Heute, etwa vier Jahr nach der Aktion, habe ich immer noch insgesamt vier rechte und fünf linke Handschuhe. Das hat mir viel Ärger und Sucherei erspart. Stellt sich eine weitere Frage: Ist der Handschuh – sofern nicht aus Hirschleder oder von besagtem Fräulein Kink – zu einem Wegwerfartikel geworden?

Ich denke nicht. Wir vermissen ihn ja doch sehr, wenn er weg ist, zumal uns das meist einsam zurückgelassene Gegenstück bei jeder Gelegenheit vorwurfsvoll von seiner Resterampe aus anblickt, ganz egal, ob es der Arbeits- oder Gartenhandschuh, der Kinder- oder Fahrradhandschuh, der gefütterten rosa Fäustling, das edle schwarze Einzelstücke oder gar ein verlassener Fräulein-Kink-Handschuh ist. Passen wir gut auf sie auf!