Die Krönung
So, nur damit es alle wissen: Ich habe mir zum Geburtstag eine Krone geleistet. Wurde ja auch mal Zeit, oder? Wie soll man denn aufstehen und sich die Krone richten, wenn man gar keine hat? Allerdings sieht man sie kaum, und das ist der Sinn der Sache: Sie ist klein und teuer, hat die unspektakuläre Farbe A3 und befindet sich im rechten Unterkiefer. Man könnte sie auch als unsichtbar auftretender Zahn der Zeit bezeichnen – und davon hat man dann in meinem Alter doch schon eine ganze Menge aufzuweisen, mehr oder weniger sichtbar. Und auf den verschiedensten Kanälen. Facebook zum Beispiel zeigt mir seit Monaten unablässig die verschiedensten Methoden, um „den Wechseljahresbauch loszuwerden“, eine davon mit „einem besonderen Ansatz für reife Frauen.“ Diese Tipps kann ich zwar brauchen, will sie aber nicht. Dankeschön. Aber ganz ehrlich: So langsam fühle ich mich wirklich reif. Wenn Menschen in einem Alter sind, in dem sie bei „Krönung“ an eine Kaffeemarke denken und in diesem Zusammenhang an eine blonde Dame mit Außenwelle namens Frau Sommer und ihnen bei Frau Sommer im weiteren Verlauf Dr. Sommer einfällt, der mit Frau Sommer aber vermutlich nicht verheiratet, verwandt oder verschwägert war, dann zählen diese Menschen mit Sicherheit zu der heute oft etwas abfällig „Boomer“ genannten Gruppe oder zur Generation X. Nicht wenige von uns schämen sich für sich selbst und dafür, was ihre Generation versäumt oder falsch gemacht hat oder beides und vielleicht bis heute nicht einsehen will. Und dafür, dass sie nun bald in den Ruhestand gehen und die Rentenkasse belasten, in die die armen Menschen der folgenden Generation nun einzahlen müssen.
Ich muss sagen, mir liegt jede Altersscham fern: Ich finde uns Boomer und Angehörige der Generation Golf schwer in Ordnung (was naturgemäß unsere Nachfolgegenerationen von Y bis Alpha nicht so sehen werden. Aber wie wir wissen, beruht das ja auf Gegenseitigkeit und auf einem Jahrtausende alten Gesetz. Nicht zuletzt galten wir seinerzeit auch als die „Null-Bock-Generation“.) In der Gesamtheit werden wir heute als konservative Workaholics beschrieben. Natürlich finde ich nicht, dass „konservativ“ auf mich zutrifft, aber ich denke, unsere Generation war und ist insgesamt schon sehr zielstrebig und leistungsbereit – mit Tendenz zur Selbstaufgabe. Und da kann ich dann zwar verstehen, wenn die Jüngeren das nicht direkt als Superentwurf für ihr Leben betrachten, aber so ein bisschen mehr Elan hier und da könnte eine gute Option sein (nicht zuletzt mit Blick auf unsere Rentenerwartung und den auf uns zu kommenden Pflegebedarf, ihr Lieben!).
Obwohl ich also weder mit dem (natürlich erst noch kommenden) Alter hadere und mich (vielleicht auch nur im Vergleich zu früheren fast Sechzigjährigen) für ziemlich jung halte – getreu dem Motto „57 ist das neue 37“ -, habe ich in den letzten zwölf Monaten das Alter heftiger kommen sehen als zuvor. Zum einen liegt das daran, dass ich inzwischen doch schon ein kleines Arsenal an Zäpfchen (nicht fragen), Tabletten und Tröpfchen mein Eigen nenne. Auch die Ausgaben für Kosmetika sind eklatant gestiegen, da diese immer mehr Leistung erbringen müssen: Ich bin jetzt 57, da müssen Wirkstoffe her! Und nicht zuletzt habe ich festgestellt, dass mein sogenanntes Mindset halt einfach nicht mehr so flexibel ist, wie es einmal war. Ich kann mit einigen Dingen der „jungen Leute heutzutage“ einfach nichts anfangen. Und ich will auch gar nicht mehr so tun, als bliebe ich ewig jung und hipp. So ist das halt. Ich versuche zwar, mit beiden Händen Nachrichten ins Handy zu tippen, aber nicht immer gelingt es, und niemals in der unglaublichen Geschwindigkeit der Digital Natives. Ich halte mein Handy gerne in der einen Hand und tippe mit der anderen. Ich schreibe, falls die Worterkennung mich nicht hindert, gerne orthografisch richtig, und ich hätte keine Sekunde Ruhe, wenn ich mein Handy cool in der Arschtasche stecken hätte, was vielleicht damit zu tun hat, dass mir aus derselben vor wenigen Jahren kurz vor Abflug vier Personalausweise meiner Mitreisenden in die Flughafentoilette gefallen sind. Für Menschen wie mich sind Handyketten erfunden worden. Ich finde das moderne Essverhalten mit allen echten, eingebildeten und ökologisch bis lebensanschaulich begründeten Unverträglichkeiten und Einschränkungen schwierig. Ponydauerwellen bei jungen Männern auch. Und bauchfrei… hatten wir schon. Und ich mag – trotz all meiner Bemühungen um die Gleichstellung von Mann und Frau in der Gesellschaft – geschlechtliche Unterschiede. Sehr sogar. Zumal ich bisher nicht den Eindruck habe, dass das ganze Weichgespüle für mehr Gleichberechtigung sorgt, aber vielleicht perspektivisch, wer weiß. Man soll ja nichts unversucht lassen.
Heidi Klum sagte just heute in der Tageszeitung, sie sei mit Fünfzig noch zu jung, um auf der Couch zu sitzen und zu stricken. Sie hat allerdings auch einen 34-jährigen Ehemann, wie man weiß, und schon allein der Gedanke daran, mit einem so jungen und wahrscheinlich auch knackigen Kerl Schritt halten zu müssen, treibt mir die Schweißperlen ins Gesicht. Nicht, dass ich grundsätzlich dagegen wäre, um Gottes Willen, aber ich persönlich sitze viel lieber mit meinem Mann in alter, wirklich alter, Vertrautheit in der kleinen heimischen Fasssauna und freue mich, dass ich den Wechseljahresbauch, der nun endlich, endlich einen Namen hat, nicht einziehen muss. Und ja, zu einer meiner schönsten Vorstellungen gehört, neben Kaffee und Lesen im Bett, Stricken auf der Couch. Aber ich denke, da kommt Heidi Klum auch noch hin. Sie ist ja erst Fünfzig.