Deutschland Steht Gopf

Was für eine Woche! Man möge mir die groben Fehler im Titel der Glosse verzeihen. Es ging nicht anders. Hört sich sächsisch an, hat damit aber nichts zu tun, wie sich noch herausstellen wird. Was für eine Woche also: Deutschland dreht am Rad. Aufgeteilt in den Teil der Menschen, die sich für Fußball interessieren, und in den Teil, der sich dem Ernst der EU-Gesetzgebung stellen muss. Erstere sind die wesentlich Glücklicheren, auch wenn das den Fans einer gewissen weißblauroten Mannschaft aus dem süddeutschen Raum sicher nicht so ganz bewusst ist. Gemeinsam mit ihrer Hälfte der Nation konnten sie in der vergangenen Woche trefflich darüber debattieren, was aus einem nicht gegebenen Elfmeter hätte werden können – ein Thema, dessen ich mich vor Jahren schon einmal annahm, als der BVB im Endspiel des DFB-Pokals gegen besagte süddeutsche Mannschaft Ähnliches hinnehmen musste, von den blauweißroten Fans damals aber völlig anders bewertet -, und darüber, wie sich eine Mannschaft als Verlierer auch verhalten könnte, vorausgesetzt natürlich, sie hätte sich jemals mit diesem so unwürdigen wie unwahrscheinlichen Thema befasst. Auch über die gegnerischen Fans ließ sich so einiges anmerken, etwa zu der geschmacklosen bis leicht aggressiven Plakatgestaltung, die den gegnerischen Trainer ins Visier nahm. Jedenfalls ermittelt der DFB jetzt gegen beide Clubs, sodass für Gesprächsstoff auch weiter gesorgt sein wird.

Den hat die andere Hälfte des Landes ohnehin. Sie quält sich mit einer neuen EU-Verordnung, die seit zwei Jahren formal in Kraft ist und deren endgültiges Inkrafttreten jetzt so plötzlich und unerwartet wie Weihnachten über sie hereinbrach und vor schier unlösbare Probleme stellt. In elf Kapiteln, 99 Artikeln und 173 Erwägungsgründen – was auch immer Letztere sind – stellt sie dar, dass die Verbraucher jetzt noch mehr Häkchen machen müssen, wenn sie shoppen oder surfen wollen und dass auch Kleinstunternehmen, One-Woman-Shows oder Vereins-Website-Betreuer (wie ich) sicherstellen müssen, dass auf ihren Websites Datenschutzhinweise stehen, die nach wie vor niemand versteht, dass Checkboxen aktiviert werden, die der Nutzer ohnehin abnicken muss, und dass auf Bildern niemand mehr zu sehen ist, es sei denn er sei unkenntlich, tot oder analog fotografiert. Ich freu‘ mich drauf!

Niemand von uns, die wir zum größten Teil mehr oder weniger zufällig und jetzt zwangsläufig mit dem Thema zu tun haben, weiß, was er zu tun hat. Dafür können wir jetzt für viel teures Geld die Leistungen von Anwälten, Datenschutzexperten, IT-Experten und Verschwörungstheoretikern einkaufen, die uns davor bewahren wollen, wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO (Deutschland Steht Gopf Vor Ordnungsgemäßigkeit) in den Knast zu gehen oder bis zu 4% des weltweiten, in meinem Fall vogelsbergweiten, Jahresumsatzes zu zahlen.

Je mehr man liest, hört und erfährt, umso wuschiger wird man und kommt zu dem Schluss, dass es am besten wäre, das Internet jetzt erstmal komplett abzuschalten, aber das wollen wir ja auch nicht. Schon allein wegen des Shoppens. Und während meine Lieblingsshops aus dem europäischen Ausland – für die die DSGVO (Digital-Soziales GroßVersagen Ogott) ja genauso gilt wir für die hiesigen Vereine – mir weiter fröhlich Newsletter schicken, kriege ich von meinem kleinen, harmlosen Kulturverein eine ellenlange Mail mit datenschützenden Ausführungen, die wohl weder ein Empfänger noch ein Absender versteht. Andere haben ihre Website vorsorglich gleich vom Netz genommen. Die Angst geht um. Und zwar nicht mal so sehr die vor dem Gesetzgeber, der sich in Deutschland dem Thema ja selbst weitgehend verweigert hat und die Klärung den Gerichten überlassen will, sondern vor denjenigen, die jetzt schon wie Aasgeier das Internet auf Verstöße durchforsten und Verursacher mit Blick auf hohe Schadensersatzforderungen vor den Kadi zerren wollen. Was allerdings so einfach nun auch wieder nicht geht und laut Bekunden verschiedener Datenschützer auch nicht die Absicht des Gesetzgebers war. Wir werden sehen, und Einzelne wie Sie oder ich können nur hoffen, dass wir nicht diejenigen sind, an denen das neue Recht zurechtgestutzt wird.

Bis ich meine Nonchalance im Umgang mit Daten wiedergefunden habe, werde ich nur noch mit einem Ziehwägelchen zu Terminen gehen. Darin befinden sich verschiedenste Vordrucke von Einverständnisklärungen für zu fotografierende Menschen und die dazugehörigen 99 Artikel der DSGVO (Die Schönsten Grüße Von Ohneworte – nicht mal zu einem gescheiten Akronym taugt das Teil, es sei denn man steht auf so Sachen wie „Das Schreckliche Gespenst Vom Onlineland“ oder so.). Für Leute, die sich nicht fotografieren lassen wollen, werde ich ein paar Augenbalken mitnehmen, weil ich nicht so gut in Photoshop bin. Ich werde Einwilligungsdaten sammeln, dass es nur so kracht, und vermutlich muss ich schon bald einen Container in den Garten stellen, um die vielen, vielen schriftlich eingesammelten Einverständniserklärungen mit den Daten der betroffenen Personen zu lagern. Ich werde ihn grün anstreichen, den Container, damit er nicht so auffällt und niemand dort einbricht, um sie klauen, die Daten; vielleicht werde ich auf dem Container schlafen, vielleicht werde ich einen Wachdienst beauftragen, vielleicht sollte ich auch nur, wie alle anderen Betroffenen auch, meine bunten Pillen wieder nehmen und gut ist.

Viel ärmer als ich und meine digitale und analoge Daten sammelnden Freunde sind nur noch diejenigen, die dies für einen rotweißblauen Verein oder Fanclub tun. Sie befinden sich in der Schnittmenge des Jammertals der Woche, noch dazu mit den gnadenlosen Ermittlern des DFB. Tut mir echt leid für euch – in Gedanken bin ich bei euch!