Der Weg als Ziel, Teil II

Wenn man mit der Bahn fährt, dann darf man es einfach nicht eilig haben, sagt mein Mann, und einen festen Termin haben schon mal gar nicht. Manchmal neigt er zur Übertreibung, aber in diesem Fall hat er ja recht. Mir entging, während ich auf meiner letzten Bahnfahrt in die Hauptstadt saß, der erste Teil eines schönen Abends, genaugenommen ein kleiner Aperitif in einer kleinen Schmuckwerkstatt im Bezirk Prenzlauer Berg, was allerdings meinen Mann wiederum gefreut haben dürfte – in rein finanzieller Hinsicht.

Kaum hatte unser Zug eine Stunde Verspätung, ging auf meinem Handy der Verspätungsalarm der Bahn ein: die „Ermittelte Abweichung“ lautete „Verspätung“. Danke für die Info, liebe Bahn, hätte ich sonst gar nicht gemerkt! Ich ließ meine Gedanken schweifen und dachte daran, wie auf der letzten Fahrt, als meine Sitzplatzreservierung zweimal vergeben war, freundliche Damen eines Meinungsforschungsinstituts im Auftrag der Bahn in den Zügen unterwegs waren, um die Fahrgastzufriedenheit zu ermitteln. Ob sie in diese Richtung fündig wurden, weiß ich nicht; um mich und meinen unreservierten Platz machten sie nämlich einen großen Bogen, obwohl ich angesichts der Situation eher belustigt als frustriert war. Es hilft ja oft, wenn man unangenehme Situationen eher vom Unterhaltungswert her betrachtet als vom tatsächlichen Ernst der Lage. Etwas schwierig war das allerdings, als meine Kinder und ich eines Morgens im Januar nach Frankfurt aufbrachen.

Die Jungs wollten unbedingt mal Zug fahren, aber die Bahn hatte sich im dritten Wintermonat noch nicht richtig auf die Witterung einstellen können. Das braucht ja auch seine Zeit. Der Zug war kalt – woran erinnert mich das nur? -, und bald waren auch die Toiletten eingefroren, was auf der halbtägigen Fahrt nach Gießen, auf der meine Kinder schon den ganzen Proviant verfressen und vertrunken hatten, eher ungünstig war. Am frühen Nachmittag erreichten wir, völlig durchgefroren, unseren Umsteigebahnhof und ich beschloss angesichts des Chaos die Weiterfahrt nach Frankfurt zu streichen. Stattdessen hielten wir Ausschau nach einem Zug zurück. Einer nach dem anderen wurde gestrichen, nicht von mir, von der Bahn. Als wir unser komplettes Budget beim bahnhofseigenen Mackes gelassen hatten, begann eines meiner kleineren Kinder zu schluchzen: „Der Papa soll uns holen!“, wohlwissend, dass dessen Fahrzeuge auch im Winter einsatzbereit sind. Am frühen Abend kamen wir zurück, gerade noch rechtzeitig, um bei den Damen in dem kleinen Bahnhofsbüro Beschwerde einzulegen. Leider vergebens. Nach längeren Recherchen gelang es mir, die Reklamationsabteilung der Bahn zu erreichen, der „Servicecenter Fahrgastrechte“ war damals noch nicht erfunden. Aus „reiner Kulanz“ erstattete die Bahn mir die Fahrtkosten – aber nur die von Gießen nach Frankfurt, denn nach Gießen seien wir ja immerhin in den Genuss der Zugfahrt gekommen, hieß es. Stimmt, fiel mir ein, wir hatten dort am Bahnhof einen vergnüglichen Tag verlebt, der uns als Familie eng zusammengeschweißt hatte.

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Da fällt mir doch gleich diese Gruppe wieder ein, die seinerzeit mit den Rädern nach Fulda fahren wollte, um von dort eine Fahrradtour zu starten. Vorschriftsmäßig hatten die vor Antritt der Fahrt ein Gruppenticket gelöst und sie hätten auch alle mitgekonnt, allerdings ohne ihre Räder, denn für die war kein Platz mehr. Was allerdings wenig Sinn macht, wenn man sich in Fulda mit einer anderen Gruppe treffen will, um Fahrrad zu fahren, was sich wiederum der Bahn nur bedingt erschloss. „Fahrräder gehen nur im Rahmen der Verfügbarkeit mit“, erfuhren die erstaunten Fahrgäste, und nein, Fahrräder im Vorfeld anmelden, geht natürlich auch nicht. Für Beschwerden oder gar eine Rückerstattung waren weder das Zugpersonal, noch der RMV zuständig, sondern die neu geschaffene Stelle „Fahrgastrechte“, zu der man in dem Riesenunternehmen allerdings kaum durchdringt. Die Bahn hat’s halt nicht so mit Logistik… Geld gab’s am Ende keins zurück – die Fahrradgruppe hatte ja freiwillig auf die bereits bezahlte Fahrt verzichtet.

Ich ringe im Augenblick noch mit mir, ob ich wegen der von mir errechneten 7 Euro Rückerstattung wegen Verspätung die Damen von den Fahrgastrechten bemühen werde – wahrscheinlich schon, aus Prinzip.

Und genau aus Prinzip fahre ich auch nächstes Mal wieder Bahn – vielleicht treffen wir uns ja mal!

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