Der fast C-freie Jahresrückblick

Ja, es ist Corona, es war das ganze Jahr Corona und es wird auch noch ein bisschen bleiben. Ich denke, darauf können wir uns alle einigen, wenn auch ungern. Jede und jeder von uns hat ihre und seine Erfahrungen damit gesammelt, persönlich, allgemein, erträglich oder unerträglich. Zum Ende des Jahres will ich mal nicht darüber sprechen, was dieses Thema alles mit sich gebracht hat, sondern darüber, was das Jahr jenseits von Corona war. Denn wir hatten 365 plus einen Tag zur Verfügung. Tage, an denen Menschen sich verliebt oder entliebt haben, Tage, an denen Kinder gezeugt wurden oder geboren sind, Tage, an denen Menschen gestorben sind – auch ohne das Virus. Tage, an denen wir Schönes erlebt haben, Freundschaften und Familie intensiver gespürt haben als sonst vielleicht. Tage, an denen uns klar wurde, wie wichtig uns Selbstverständliches ist.

Keine Angst, es wird hier nicht so heilig und pseudophilosophisch, wie man jetzt vielleicht befürchten könnte, aber das musste jetzt einfach mal gesagt werden. Vielleicht können wir uns ja darauf einigen, unsere Gespräche mal wieder ein bisschen weniger C-lastig und dafür mehr L-lastig, also lebenslastig (gerne auch lebenslustig) zu machen. Und so habe ich mich auf die Suche nach anderen Themen gemacht und mir Gedanken darüber gemacht, was in diesem Jahr Schönes, Neues und Altes passiert ist. Die Auswahl ist spontan und wie immer Ausdruck mangelnder Zeit, aber genauso brainstormt man ja, also, stürmen Sie mit:

Ein schönes Ereignis in diesem Jahr war sicherlich die Abwahl des eichhornfrisierten Machthabers jenseits des großen Teichs. (Sorry, ihr lieben Eichhörnchen, ich weiß, dass euch das mit dem Frisurenvergleich nicht recht ist, aber ich nutze den Vergleich jetzt zum letzten Mal, ich versprech’s euch.) Ich weiß nicht, ob er das inzwischen verstanden hat, aber man hört erstaunlich wenig von ihm – ein gutes Zeichen in diesen aufgewühlten Zeiten, finden Sie nicht?

Bei Neuem fällt mir jetzt außer dem Impfstoff nicht so richtig viel ein – toll, aber zu C-lastig, deshalb gleich weiter zu Altem. Es gibt wirklich alte Dinge, die wiedergekommen sind. Mehr und mehr habe ich in diesem Jahr weiße Tennissocken gesehen. Sie auch? Unglaublich – sie wurden nicht mal verdeckt unter einer langen Hose getragen, sondern von hippen, jungen Leuten zu kurzen Beinkleidern, adrett hochgezogen, jenseits jeglicher jugendlicher Schlampigkeit, und was soll ich sagen, es macht mir ein wenig Angst. Zählten diese Socken nicht eindeutig zu den verachtenswerten Modesünden der geschmacksverwirrten Achtziger- und Neunzigerjahre, die wir Kinder dieser Jahrzehnte glücklicherweise ohne bleibende Schäden überstanden haben? Und habe ich nicht hier und da in den Modemagazinen wieder Karottenhosen gesehen? Karottenhosen! Heute hießen sie „Mom Jeans“ (Warum nur?) oder Paperbag-Hose. Muss man nicht verstehen, aber ganz ehrlich, ich hätte sie auch umbenannt, um etwaige Verbindungen zu früheren Ausfällen zu vermeiden. Schulterpolster zu zu großgeschnittenen Blazern waren auch dabei, ebenso wie Animal-Prints, denen ich persönlich durchaus zugeneigt bin. Die Leggins sind zurück und die neonfarbenen Glanzblousons ebenso. Da kann man nur froh sein, dass man im Alter nicht mehr alles tragen muss, was so auf den Markt kommt. Und nicht alles tragen kann:

Nachdem sich die letzten Jahre ja bereits der Vollbart in der Männermode wieder einen festen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung erobert hat, zieht nun sein kleiner Bruder, der Schnauzbart, auch bekannt als Pornobalken, nach. Ich kann’s natürlich verstehen, dass er aus seinem Schattendasein herauswill, aber wer außer Rudi Völler, Thomas Magnum und meinem Onkel Gerhard kann guten Gewissens und ohne Einbußen des An- und Aussehens wirklich einen Schnurrbart tragen? Diese Frage ist, finde ich, angesichts der C-Lage in diesem Jahr völlig ins Abseits geraten.

Aber jetzt nochmal was weniger Profanes und außerdem Neues: In diesem Jahr hat die Bundesregierung ein Verbot von Einwegkunststoff-Produkten auf den Weg gebracht. Wegwerfprodukte wie Einmalbesteck und -teller, Trinkhalme, Rührstäbchen, Wattestäbchen und Luftballonstäbe aus Plastik, To-Go-Lebensmittelbehälter und Getränkebecher aus Styropor sollen nicht mehr auf den Markt kommen. Eine gute Nachricht, finde ich, für dieses und die kommenden Jahre.

Ob es das jetzt schon war? Ob meine Aufzählung hier schon zu Ende ist? Ob die einzig wirklich gute Nachricht ist, dass dieses Jahr irgendwie rumgegangen ist und hoffentlich wenige von uns Schaden genommen haben? Ich weiß es nicht. Ich habe gegoogelt „Was war gut an 2020?“ und habe außer den vielzitierten positiven Corona-Folgen (Umwelt, Solidarität, Kreativität) nichts gefunden. Macht nix, dachte ich, dann aktivierst du halt deine kleine private Suchmaschine, die mächtigste Whatsapp-Gruppe der Region. Und da kamen viele kleine, schöne persönliche Erlebnisse, die auf den ersten Blick vielleicht C-frei waren, indirekt aber doch davon beeinflusst. Viele hatten mit Hunden zu tun, und mir fiel ein, dass allein in meinem Bekanntenkreis sich in diesem Jahr fünf Familien einen Hund angeschafft haben – zum ersten Mal! Wenn das mal nicht doch was mit der Pandemie zu tun hat, schließlich darf man mit Hund immer raus und ist auch drinnen nicht so einsam. (Wir hätten übrigens einen zu verleihen, sollten Sie mal in Quarantäne sein und einen Grund zum Rausgehen benötigen.)

Upps – und schon bin ich doch wieder beim Thema des Jahres gelandet, das sogar das Wort des Jahres geworden ist. Wenig originell. Wie es aussieht, führt kein Weg dran vorbei, keiner. Dann war es halt so, 2020. Die Medien nennen es ohnehin schon „Corona-Jahr“. Auch wenig originell, aber getragen von der Hoffnung, dass 2021 anders heißen wird.

Mein Plan für das neue Jahr, den ich nur mir Ihnen umsetzen kann: Lassen Sie uns doch einfach nach anderen, schönen Themen schauen: Kochrezepte, Urlaubspläne (ja, wir trauen uns was!), Living at home, Literatur, schöne Gegend, nette Freunde, Lieblingswein, Spieleabend, Familienleben, alte Autos, schöne Blumen, Süßigkeiten – da wird uns doch was einfallen, oder?!

Selten hatte ein neues Jahr so viel Potenzial besser zu werden als das alte – geben wir ihm eine Chance!