Da-da-da, dada-dadadada
„Sehr geehrte Damen und Herren, wir begrüßen Sie in der Hersfelder Stiftsruine. Bitte beachten Sie, dass Essen und Trinken im Innenbereich der Ruine nicht erlaubt sind. Sie haben außerdem jetzt die letzte Gelegenheit, unbemerkt Ihr Handy auszuschalten.“ So oder so ähnlich klingt es derzeit allabendlich vom imaginären Band der Hersfelder Festspiele und so klang es auch, als ich eines Abends pünktlich um 20 Uhr mit der ganzen Familie dort saß. In der ersten Reihe, versteht sich. Und was jetzt folgt, Sie ahnen es, ist sehr peinlich. Für mich.
In der Regel werde ich nach einer solchen Durchsage ganz wuselig. Ich suche in den Tiefen meiner Handtasche, mit deren Inhalt ich locker drei, vier Tage ohne Weiteres überstehen könnte, nach meinem Handy, habe eine Schrecksekunde nach der anderen, weil ich es natürlich nicht sofort finde und sicher bin, es jetzt wirklich verloren zu haben, bis es dann doch zwischen Tempos, Schreibsachen und Pfefferminzbonbons zum Vorschein kommt. Meistens ist es dann schon lautlos gestellt, aber besser man schaut noch mal nach, stimmt’s? Dann stelle ich es immer noch mal laut und wieder leise, damit ich auch ganz sicher bin. Das minimale Geräusch bei lautlosem Klingeln wird von meinen kleinen Habseligkeiten in der Handtasche auf jeden Fall absorbiert, also alles safe!
Das dachte ich auch an diesem Abend, zumal sich unter den Habseligkeiten in meiner Handtasche auch eine Wolldecke befand. Außerdem hatte ich mein Handy – wie fast immer in der letzten Zeit – zuhause schon lautlos gestellt, und wer sollte mich zudem um diese Zeit noch anrufen? Ich widerstand also meinem natürlichen Wuseltrieb und legte mich entspannt zurück in Erwartung eines schönen Theaterabends. Warum dann nur zehn Minuten später beim Prolog einer einzelnen Schauspielerin auf der Bühne mein Handy dennoch klingelte, weiß ich bis heute nicht. Es klingelte und zwar in diesem schönen I-Phone-Ton namens Xylophon, wissen Sie: Da-da-da, dada-dadadada. Da-da-da, dada-dadadada. Da ich Tendenzen habe, mein Handy meistens zu überhören und außerdem lange suchen zu müssen, ist es, wenn es denn an ist, so laut wie möglich eingestellt und auf so langes Klingeln wie möglich, bis die Box anspringt. Diese beiden Möglichkeiten schöpfte mein Handy an diesem Abend in der ersten Reihe voll aus, während ich vornübergebeugt in meiner Handtasche nach ihm kramte. Darin befanden sich zu allem Überfluss auch noch die Jacken meiner Kinder und ein Poncho, was der Sucherei nicht gerade zuträglich war. Da-da-da, dada-dadadada. Da-da-da, dada-dadadada. Ich kramte und kramte, drückte am Ende die Tasche samt Inhalt zusammen, um den Ton zu dämmen, aber es klingelte und klingelte. Achtmal. Da-da-da, dada-dadadada. Dann endlich schwieg es. Ich überlegte kurz, ob ich einfach vornübergebeugt sitzen bleiben sollte und versuchen sollte, mich mit der in meiner Handtasche befindlichen Nagelpfeile durch die vor mir liegende Holzwand zum nicht benutzten Orchestergraben durchzusägen, um durch die unterirdischen Gänge der Stiftsruine unauffällig zu verschwinden. Stattdessen fand ich mein Handy, schaltete es leise und richtete mich langsam wieder auf. Ich hoffte insgeheim, dass in jeder Aufführung irgendein Idiot sitzt, dessen Handy klingelt, wobei es sicherlich von Vorteil ist, wenn dieser nicht wie ich in der ersten Reihe platzgenommen hat.
Peinlichkeiten dieser speziellen Art passieren mir seit einem sehr einprägsamen Ereignis recht selten. Ich saß einmal als einzige Pressevertreterin mit dem damaligen Landrat, dem damaligen Bürgermeister und dem damaligen Präses zusammen, als mein Handy klingelte. Meine Cousine war dran und wollte wissen, ob die Dings aus Heubach nun mit dem Dings aus Oberkalbach ein Verhältnis hat oder doch eher mit dem Dings aus Uttrichshausen. Sie hatte mich vorher noch nie angerufen und versuchte es im Lauf dieses Termins noch dreimal. Danach nie wieder. Seitdem ist mein Handy immer lautlos. Ich schwör‘.
Als ich nach dem Abend in der Stiftsruine zuhause mein Handy endlich wieder anschaltete, vernahm ich auf der Box die Stimme einer sehr netten Bekannten, die mich zuvor auch noch nie angerufen hatte. Sie hatte von einer anderen sehr netten Bekannten noch Karten für die Stiftsruine am kommenden Sonntag bekommen. Ob ich mitwollte. Natürlich wollte ich mit. Ich hatte noch was gutzumachen!