Christmas Pickle oder die Weihnachtsgurke

Ganz ehrlich: Als ich zum ersten Mal das Wort „Christmas Pickle“ hörte, dachte ich doch tatsächlich, es handele sich um einen Ausschlag als allergische Reaktion auf Weihnachten oder den Stress, der daraus hervorgeht. So nach dem Motto, da kriege ich echt Christmaspickel. Verstehen könnte ich es, denn nicht immer helfen aromatisierte Tees oder Rotwein gegen den Weihnachtswahnsinn. Gut, dass ich das noch aufklären konnte, eher zufällig, denn ich stieß – zwei Monate vor dem Fest in einem hiesigen Geschäft meiner Wahl – auf eine Weihnachtsgurke.

Glücklicherweise war ich mitten im Aufräumen und Ausmisten meiner Weihnachtskartons, die – Sie wissen es – schier unbegrenzte Dekorationsmöglichkeiten enthalten. Während ich mich so dran machte und mich in Gedanken schon dauernd mit den Planungen für die diesjährige Weihnachtslesung beschäftigte, kam mir die Idee, auf meiner Lesung auf jedem zehnten, ach, was sage ich, jedem fünften Platz ein kleines Wichtelchen aus meinen Kisten zu deponieren. Geben ist ja auch seliger als nehmen, wie wir alle wissen. Und zu Weihnachten sollte man wirklich großzügig sein. Außerdem rechne ich damit, dass die Gäste höflich genug sind, die Sachen auch mitzunehmen, denn natürlich brauche ich Platz für neue Weihnachtsdeko; die Welt, zumindest unsere hier, ist ja voll davon. Gerade vorgestern konnte ich also nicht widerstehen, mir endlich, endlich meine eigene Weihnachtsgurke zu kaufen, im Land ihrer Herkunft „Christmas Pickle“ genannt.

Wissen Sie eigentlich, warum man heutzutage unbedingt eine Weihnachtsgurke braucht? Weil sie Glück bringt – wie alle merkwürdigen Sachen, für die zu tun oder zu haben man einen Grund braucht. Der Legende nach wäre ein bayrischer Auswanderer, der von Hans Lauer zu John Lower wurde, als gefangener Soldat im Bürgerkrieg (natürlich für die Nordstaaten, das lasse ich jetzt mal so stehen) am Weihnachtsabend fast des Hungertodes gestorben, wenn nicht ein Wärter ihm eine Essiggurke (was sonst) gegeben hätte, dank der er überlebt hat. Aus Dankbarkeit hing der liebe Hans von da an immer eine Gurke in den Weihnachtsbaum. Heute noch spielen Kinder in den USA angeblich immer noch „Hide the pickle“. Zutrauen würde ich es ihnen. Durch die grüne Farbe ist die im Baum versteckte Gurke schlecht zu finden, und daher hat das Kind, das sie dennoch findet, nicht nur die besten Augen, sondern auch Glück im nächsten Jahr. Als erstes darf es die Gurke behalten. Wenn das kein gutes Omen für das neue Jahr ist, dann weiß ich auch nicht.

Neben der Weihnachtsgurke hingen in dem Geschäft meiner Wahl noch Weihnachtsmuffins und Weihnachtshamburger. Ich nehme an, dass man in der Legende von John Lower nur die Lebensmittel tauschen muss, um eine plausible Erklärung für das Vorhandensein solchen Baumschmucks zu haben. Und ein Weihnachtsschweinchen hing dabei. Hing, denn dieses possierliche Kerlchen, für das ich mir selbst noch eine Legende ausdenken muss, musste ich einfach mitnehmen. Ich nehme an, es hat mit meiner Vorliebe für Schnitzel und Fleischsalat zu tun, aber ich habe es noch nicht genau analysiert. Als Weihnachtsschmuck wird das Schweinchen in seinem rosa Tutu glitzernd irgendwo herunterhängen, wahrscheinlich neben dem Weihnachtsfrosch, der mir mal geschenkt wurde, eine Froschfrau, würde ich angesichts des Outfits und der Schminke vermuten. Aber man weiß ja nie. Und was die beiden für eine Wahnsinnsstory verbindet, liegt auch noch im Dunkeln. Aber bis Weihachten fällt mir sicher noch was ein. Die Geschichte vom Schweinchen und der Froschfrau, die am Fest eine Gurke vor dem Tod durch Vergessen im Weihnachtsbaum retteten und so die Idee der Mixed Pickles in die Welt brachten. Oder so. Vielleicht warte ich mit der Pointe einfach noch auf eine Eingebung am Glühweinabend.

Nochmal zurück zum Ausmisten: Man weiß ja auch Anfang November noch nicht, was man bis zum Fest noch alles braucht. Gerade habe ich einen großen Holzbaum für den Balkon bestellt, der wiederum Platz für alle möglichen Kinkerlitzchen hat. Hoffentlich finde ich da was in meinen Kisten. Die Glitzerkataloge mit den besten Weihnachtslooks und den tollsten Geschenkideen kommen ja jetzt erst noch. Da können einem die Geschäfte vor Ort nur leidtun: Wenn es zu früh glitzert und funkelt – also, früher war vor Totensonntag überhaupt noch nichts mit Blingbling, lang, lang ist’s her -, dann denken die Kunden, jetzt geht’s aber los, und wenn die Läden zu lange warten, dann haben die anderen schon vor ihnen das Geschäft gemacht. Eine Spirale, die dazu geführt hat, dass im August schon die Lebkuchen bei Aldi sitzen, und man will echt nicht wissen, wo das noch hinführt. Im schlimmsten Fall wird es gar nicht mehr weggeräumt. Ich bin mir allerdings sicher, dass Aldi, wenn es sich im August nicht rentieren würde, Lebkuchen zu verkaufen, seine teure Verkaufsfläche anderweitig nutzen würde. Und die anderen auch. Irgendwer muss das Zeug also kaufen. Nur Sie und ich natürlich nicht. Bis auf die Nougatkugeln. Also, die kann man auch im September schon essen, finde ich. Und den Baumkuchen, der geht auch im Oktober schon.

Und die Weihnachtsgurke? Also, die geht jetzt wirklich das ganze Jahr, oder?