Chaostruppe

Neulich war unsere Staubsaugerdüse verschwunden. Die größte. Es gab Zeiten in meinem Leben, da hätte ich das für unmöglich gehalten. Damals, ich gehörte noch der sozialen Gruppe der DINKIs an (Double Income No Kids), wäre eine verschwundene Staubsaugerdüse ein untrügliches Indiz für sich anbahnendes Messietum gewesen, für einen Verfall aller Sitten, für alles, was ich nicht war und nicht sein wollte. Zumindest vorübergehend. Verschwundene Staubsaugerdüsen passten nicht in mein Weltbild. Ebenso wenig wie verschwundene Handys, Sporttaschen oder Zeugnisordner.

Ein paar Jahre später, unser erster Sohn lief gerade und war stolzer Besitzer eines Paar Schuhe, Größe 19, besuchte ich eine Familie mit vier Jungs unterschiedlicher Altersstufen. Direkt neben der Haustür begrüßte mich ein Riesenhaufen mit Jungsschuhen verschiedenster Größen, Abnutzung und Verschmutzung. Alles schön und gut, dachte ich, aber so muss es auch in einem Sechspersonenhaushalt nicht aussehen. Es war der Hochmut vor dem Fall, der aus mir sprach. Bekanntlich habe ich es zwar nur zu einem Fünf-Personen-plus-Hund-Haushalt gebracht, die Haufen, Dreckecken und anderen Ansammlungen von allem Möglichen aber würden einem überaus größeren Haushalt alle Ehre machen. Es ist ja wirklich unglaublich, was man alles nicht wegräumen muss, weil es einfach nicht nötig ist! Die Pfosten unserer zahlreichen Treppengeländer biegen sich meist unter der Last von Jacken aller Art. Und wenn man genau hinsieht, sind auch Handtaschen und Frauenjacken darunter. Der Sessel im Eingangsbereich ist eine Überlaufeinrichtung für eilig ausgezogenes Zeug geworden, die Gästegarderobe – welche Gästegarderobe?!

Und natürlich geht bei so viel Betrieb und so vielen Möglichkeiten auch das eine oder andere verloren. Staubsaugerdüsen zum Beispiel tauchen irgendwann im Kinderzimmer wieder auf, verlorene Hausschuhe finden sich nach Ablauf der Mindestgröße in der Autokiste unter dem Bett wieder, verschwundene Hundehalsbänder tauchen erst Monate später wieder auf – allerdings auf dem Nachbargrundstück und nur zwei Tage nach dem Erwerb eines neuen schicken Teils. Unzählige kleine und große Teile des täglichen Bedarfs verschwinden bei uns buchstäblich innerhalb von Sekunden einfach so, und meine größte Angst ist die, dass irgendwann einmal eine Riesenblase über unserem Haus sich öffnet und alles, was wir bisher vermissen, daraus auf uns herunterfällt. Wir werden begraben liegen unter einem Berg aus Millionen von kleinen und großen Dingen und es wird für uns keine Rettung geben.

Als Kind war Aufräumen für mich total leicht. Ich übte mich früh darin, Sachen einfach unter das Sofa, unter das Bett und in schwer einsehbare Ecken zu schieben, bis sie von selbst wieder daraus hervorquollen. Ein Talent, das ich großzügig an meine Kinder weitervererbte. Später, als ich dann alleine wohnte, wurde ich sehr ordentlich. Alles, was ich nicht brauchte, lagerte ich bei meinen Umzügen auf dem Dachboden meines Elternhauses und so war es bei mir – zur großen Verwunderung meiner Mutter – eigentlich immer sehr ordentlich. Als schließlich der Dachboden meiner Eltern überquoll und ich im siebten Monat mit den Zwillis schwanger war, packte ich in einem Riesenbefreiungsschlag alle etwa zehn Jahre lang nicht beachteten Kisten ins Auto und fuhr sie ungeöffnet und unbesehen auf die Mülldeponie – in mehreren Fuhren. Ein Wahnsinnsgefühl! Manchmal vermisste ich das eine oder das andere, aber ich kam darüber hinweg. Ordentlich sein fühlte sich so gut an!

Im Lauf der Zeit allerdings wurde es immer schwieriger, Ordnung zu halten. Inzwischen hat sich die Größe der Schuhe, die neben der Tür herumstehen, verdreifacht, die Anzahl der Schuhe um einiges mehr. Manchmal, wenn ich mich so umschaue, beschleicht mich der Verdacht, ich hätte mich dem Chaos ergeben. Aber ich habe Hoffnung. Die Bücher „Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags“, „Magic Cleaning – Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert“ und „Die Kunst des Aufräumens“ habe ich soeben in meinem Bücherregal wiedergefunden. Die lese ich jetzt mal. Und dann geht’s los. Ich schwör’s!