Braun sein
„Der Deutsche an sich will ja braun sein“ – zu dieser nicht ganz unzweideutigen Erkenntnis kam bereits vor Jahren die Sängerin und Kabarettistin Pe Werner. Das war Anfang der Neunziger und ich hätte gehofft, dass mit fortschreitender zeitlicher Entfernung von den braunen Zeiten sich dieses Problem gelöst hätte. Hat es aber nicht und so bleibt es mir an dieser Stelle nur, erleichtert festzustellen, dass es sich bei der Feststellung in diesem Fall nicht um die Gesinnung, sondern die Hautfarbe handelt, was zumindest für die Leichtigkeit dieses Textes von Vorteil ist. Dass die Deutschen durchaus braun sein wollen, treibt nicht nur den Dermatologen die Sorgenfalten ins Gesicht, sondern sorgt auch für anhaltend gute Besuche in den Solarien des Landes und für gute Umsätze in der Kosmetikbranche, die Jahr für Jahr neue, erfolgversprechende Selbstbräuner auf den Markt wirft. Und wenn sich an einem Standort wie Alsfeld schon seit Jahren – seit Jahren! – ein Tanning-Studio hält, dann weiß man: Auch die Alsfelderin und der Alsfelder möchten eigentlich gerne braun sein. Ich auch. Aber ich werde es nicht. Zumindest nicht komplett. Denn egal, ob ich im Sonnenstudio den Power-Bräuner, den Turbo-Bräuner oder die Superkombination aus beidem wähle – mit einer Stromleistung übrigens, mit der man neben mir locker noch ein Jahr lang das Essen für meine ganze Familie erhitzen könnte: Meine Beine bleiben weiß. Manchmal, nach der ersten Rasur nach dem Winterfell sprenkeln sie kleine rote Pünktchen, das war’s dann aber auch schon mit der Farbe auf den Beinen.
Und so wähle ich bei offiziellen sommerlichen Anlässen eher lange Beinkleider, obwohl ich einen halben Schrank voller Röcke habe, so wie vor langer Zeit bei der Hochzeit einer Freundin. Dort stellte ich zu meinem großen Erstaunen fest, dass alle anwesenden Damen – ALLE anwesenden Damen – außer einer gut gebräunt waren und zwar an allen sichtbaren Stellen, und das waren nicht wenige. Auf die eher rhetorische und nicht weniger neiderfüllte Frage, ob die wohl nun schon alle im Urlaub gewesen seien, antwortete eine andere Freundin lapidar, die hätten doch alle heute Morgen nur nochmal Selbstbräuner aufgetragen. Selbstbräuner?! Wie bitte?
Ich erinnerte mich, dass vor mehr als fünfunddreißig Jahren eine Mitschülerin völlig entstellt den Schulbus betrat, nachdem sie am Vortag einen Selbstversuch mit Selbstbräuner gemacht hatte. Ute Schmidt! Sie hätte danach problemlos in einem naturkundlichen Museum als Moorleiche anfangen können, was im Übrigen auch ihrem Intellekt entsprochen hätte. Ich gönnte es ihr, dankte ihr für diese Erfahrung, die ich nicht selbst machen musste und verbannte die Existenz von Selbstbräunern aus meinem Gedächtnis. Bis zu diesem denkwürdigen Hochzeitstag, denn Jahrzehnte später könnten die Rezepturen der Präparate ja etwas verfeinert worden sein, außerdem hätte ich vermutlich schon damals die Anwendungshinweise besser verstanden als Ute Schmidt. Die Aussicht jedenfalls, dass auch ich (ICH!) braune Beine haben könnte, trieb mich in die nächste Drogerie, und nun hole ich in Sachen Selbstbräuner alles nach, was ich in der Pubertät verpasst habe.
Zunächst „BRONZE SUBLIME“ – verspricht natürliche, gleichmäßige Bräune, bei wem auch immer. Gelbliche, fleckige Bräune trifft es schon eher, und von den ganz komischen, um ehrlich zu sein schrumpligen Stellen an Knien und Fersen wollen wir an dieser Stelle schweigen. Dem Schreck, dass die frisch erworbene Bräune bzw. Gelbe nach dem Duschen direkt am Handtuch hing, folgte die Erleichterung, nicht mit den Beinen von Ute Schmidt durchs Leben gehen zu müssen. Nun lassen wir Frauen uns ja nicht gleich beim ersten Misserfolg entmutigen, besonders dann nicht, wenn es um so etwas Wichtiges wie braune Beine geht. Der nächste Versuch hieß „GLOSS BRÄUNER“: Selbstbräunungscreme mit Goldschimmer-Effekt, strahlende und gleichzeitig natürliche Bräune verheißend. Dass das ein bereits Widerspruch an sich ist, merken die wenigsten, denke ich, braun wurden meine Beine auch davon nicht, allerdings setzten sich die Glanzpartikel in die roten Haarporen, die meine Beine nun glänzen ließen wie eine Glühwürmchenpopulation im Energiesparmodus. „SUN TOUCH“ für helle Hauttypen schließlich machte keine Flecken, das war schon mal schön, aber es machte auch nicht braun. Es machte einfach nichts, aber es hatte einen schönen Namen. Es folgten viele weitere Versuche, die man noch lange Zeit in meinem Badezimmerschrank zurückverfolgen konnte, da ich zu geizig bin, teure Kosmetik wegzuschmeißen, obwohl ich sie nicht nehme…
Danach pausierte ich einige Jahre, bis mir eine gute Freundin „AFRICAN WONDER“ empfahl. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob es politisch korrekt ist, einen Selbstbräuner mit diesem Namen zu haben, erschwerend kommt hinzu, dass auch nur teilweise bis gar nicht über die Braunresistenz meiner unteren Extremitäten hinwegkommt. Wie dem auch sei – ich bleibe dran und werde die kosmetischen Entwicklungen auf diesem Sektor verfolgen. Bis dahin fange ich an, mich mit meinen rotgesprenkelten Käsestangen anzufreunden. Schließlich tragen sie mich überall hin – und das ist ja auch schon mal was! Und wenn man es genau bedenkt, ist es ja auch gut, wenn man als Deutsche so eine innere, unabänderliche Abneigung gegen Braunsein hat…