Bildet euch!

Zweimal im Jahr ist es soweit: Der neue Volkshochschulkatalog liegt aus – ein Glücksmoment für Leute wie mich, die zum einen ständig das Bedürfnis haben, sich weiterzubilden und zum anderen mit aller Kraft die letzten Sekunden ihrer schlaffreien Zeit sinnvoll zu füllen. Denn was kann es Schöneres geben, als sich weiterzubilden? Nichts! Ganz ehrlich, wenn es nicht so eine brotlose Kunst wäre, könnte ich mein Leben damit verbringen, nur noch zu lernen. Ich könnte Niederländisch lernen und spanische Konversation betreiben. Ich könnte mich in chinesischer Kalligrafie üben und Schmuck herstellen oder Vino-Pasta-Cantuccini. Ich könnte mir meine digitale Kamera erschließen und Studienfahrten in die Museen der Umgebung unternehmen. Ich könnte Callanetics und Beckenbodentraining machen, und wenn ich all das hinter mir hätte, könnte ich die Kurse „Atem und Achtsamkeit“ und „Positiver Umgang mit Stress“ besuchen, schließlich muss man ja bei aller Umtriebigkeit auf sich achten.

All das könnte ich tun, wenn ich nicht arbeiten müsste und natürlich auch, wenn ich nicht kursmäßig doch schon ganz schön hingelangt hätte: montags Aquacycling, mittwochs Pilates und samstags die „8-Wochen-Ernährungsumstellung zur gesunden und genussvollen Gewichtsreduktion.“ Die geht jetzt bis Ende Oktober, was sehr praktisch ist, da ich dann am 8.11. direkt in den Kurs „Persische Küche“ einsteigen kann. Kurzfristig hatte ich die Hoffnung, der Ernährungsumstellungskurs würde ausfallen, denn als ich letzten Samstag dort war, war außer mir niemand da – ein organisatorischer Fehler, der mir sehr zupassekam, da ich abends noch Essen gehen wollte und am nächsten Nachmittag zum Kaffeetrinken eingeladen war. Da ist es doch ganz praktisch, wenn die Ernährungsumstellung noch nicht direkt angefangen hat. Als ich den Kurs letzten Samstag im VHS-Gebäude suchte, hörte ich fröhliches Lachen aus einem anderen Raum. Dass dies unmöglich der Abnehmkurs sein konnte, war mir klar. Als ich dennoch nachfragte, verrieten mir die gutaufgelegten Damen, sie seien der Kalligrafiekurs – und den hatte ich doch extra nicht belegt, weil ich mich nach einem langwierigen und mehr und mehr sinnlos erscheinenden Abwägungsprozess für den weniger spaßigen Kurs eingeschrieben hatte.

Entscheidungsmäßig geht es da ja ganz oft ans Eingemachte: Ist es jetzt wichtiger sich mittwochs in der Klopftechnik zu üben, um stressresistenter zu werden oder sich den Pilatesübungen hinzugeben, um auch jenseits der Fünfzig noch halbwegs gelenkig zu bleiben? Und sollte man vielleicht in Erwägung ziehen, zwei Kurse zur selben Zeit zu buchen und sich wöchentlich mit sich selbst abzuwechseln? Wäre theoretisch machbar, allerdings schaffe ich meist ohnehin nur einen der beiden Sportkurse pro Woche. Wenn ich dann montagabends noch die ganzheitliche Farb,-Typ- und Outfitberatung dazunehmen würde und mittwochsabends den Niederländsich-Kurs, auf den ich es schon jahrelang abgesehen habe, könnte es vielleicht auch schnell zu größeren Verwechslungen oder Versäumnissen kommen.

Vielleicht könnte man aber von Seiten der VHS-Verwaltung aus der Zeitnot gepaart mit hyperaktiver Interessensvielfalt auch eine Tugend machen: Man könnte zum Beispiel den Pilateskurs von einer Holländerin durchführen lassen und während der Übungen ganz leicht Niederländisch lernen. Wie man allerdings die Farb-, Typ- und Outfitberatung ins Becken bekommt, weiß ich noch nicht ganz genau. Auch hier würde sich wohl eher etwas Wissensvermittelndes, allerdings ohne Computer, anbieten. Vielleicht könnte man die Webinare zu zum Thema „Hundert Jahre Weimarer Republik“ auf eine Leinwand ins Bewegungsbecken übertragen und somit auf einen Schlag nicht nur die Beine, den Bauch, die Arme, den Rücken und den Po stärken, sondern auch den Geist – und wie! Dazu müsste man allerdings auf die motivierende Musik aus dem schwimmbadeigenen Ghettoblaster verzichten und auf die vielen schönen Frauengespräche, die sich in solchen Runden gerne mal ergeben.

Letztere sind vielleicht ein Grund dafür, dass die VHS mehr und mehr reine Männerkurse anbietet: Ich glaube kaum, dass im „Hatha-Yoga für Männer“ die neuesten Intimrasurtipps ausgetauscht werden, und aus zuverlässiger Quelle weiß ich auch, dass dort nicht so sehr in sich gespürt und die eigene Mitte erfühlt wird wie in Frauenkursen. „Männer an den Herd“ und „„Das ABC des Kochens für Männer“ habe ich gefunden, und wenn sich die Jungs davon nicht angesprochen fühlen, dann können sie sich bei „Scharfe Sachen für starke Kerle“ einschreiben. Die Hauptsache ist, sie tun es!

Ich persönlich tue es schon lange. Meine erste VHS-Erfahrung hatte ich mit etwa 14, als ein missmutiger Tanzlehrer mit seinem Plattenspieler und seiner schlechtgelaunten Frau über die Käffer zog und der Dorfjugend das Tanzen und gute Manieren beibringen wollte. Ich an seiner Stelle wäre auch frustriert gewesen. Seither mag kaum ein Jahr vergangen sein, in dem ich keinen VHS-Kurs besucht habe: Ich war Dauergast im Töpfern und im Spanisch – so sehr, dass mir sogar schon eine Kursleitung angeboten wurde, was wiederum nicht für deren Qualität spricht. Ich habe Konditionsgymnastik gemacht und Outlook erlernt. Ich habe Sprechtechniken geübt, Italienisch gelernt, habe genäht und Gitarre gespielt. Ich habe einen Kurs in autobiographischem Schreiben und in Bildbearbeitung besucht. Meine ersten Schreibmaschi-nen-, Word- und Excel-Kenntnisse habe ich von der VHS, und ich bin mir ihr in die neue deutsche Rechtschreibung eingestiegen. Ich habe einen Kurs für „Vollwertiges Backen ohne Zucker“ besucht, der keine eine Sekunde Spaß gemacht hat und der mir später sogar den Hauptgewinn beim Hessenquiz vermasselt hat, was aber eine andere Geschichte ist. Und das, meine Damen und Herren, sind nur die Kurse, die mir jetzt während des Schreibens spontan eingefallen sind.

Ich würde sagen, es ist Zeit, meine VHS-Geschichte zu dokumentieren. Ich glaube nicht, dass mir zum hundertsten Kurs noch viel fehlt. Hätte ich das mal alles als Treuepunkte gesammelt, würde ich heute sicherlich einen kostenlosen Kurs bekommen oder die goldenen VHS-Ehrennadel. Ich finde, ich hätte beides vorbehaltlos verdient.