Abnehm-Wahn

Abnehm-Wahn

Wie Frauen auszusehen haben, sehen wir tagtäglich überall. Die meisten Frauenzeitschriften, die irgendwo zwei, drei gute Reportagen und ein wenig Gesellschaftskritik versteckt haben, sind imstand, nach einem Beitrag über Magersucht die besten Abnehmtipps für drei Kilo übers Wochenende zu bringen. Sie berichten über die Selbstbestimmung der Frau, um drei Seiten weiter die Must-Haves- der Saison an Models in Größe 34 bei einer Körpergröße von 1,80 Meter zu präsentieren. Und wir konsumieren das. Gerne. Wir Frauen sind merkwürdige Wesen. Wir wollen von anderen unabhängig von unserem Äußeren wahrgenommen werden und schaffen es nicht mal bei und für uns selbst. Und so treibt das Schönsein merkwürdige Blüten, die besonders im World Wide Web aufblühen, sich verbreiten und bald von einer weiteren noch abenteuerlicheren Blüte abgelöst werden. Und das Irrsinnigste: Sie werden von Frauen für Frauen kreiert. Besonders was das Dünnsein betrifft, gibt es einige Ideale von denen ich weit entfernt bin. Und schon immer war. Sogar bei der Einschulung!

War es eine Zeitlang der „Thigh Gap“, den wir Frauen versuchen sollten, mit viel, viel Sport und wenig Essen zu erreichen, so sind wir heute schon bei der „Bikini Bridge“, dem „Ab Crack“ und dem „Collarbone“ angekommen. Was das ist? Schlimme Sachen, sage ich Ihnen. Der Thigh Gap ist eine Lücke, die beim Stand mit geschlossenen Beinen – also sich berührenden Knien – zwischen den Oberschenkeln entsteht – oder eben auch nicht. Also bei mir eher nicht.

Die Bikini Bridge entsteht, wenn dünne durchtrainierte Frauen im Liegen so einen dünnen Bauch haben, dass ihre Hüftknochen den Bikini über dem Bauch spannen und zwischen Bauch und Bikini noch Luft bleibt. Ist jetzt aber für mich auch nur so halb relevant, weil ich ja immer Badeanzug trage. Sonst hätte ich das natürlich auch, is‘ klar!

Der Ab Crack ist eine Falte über dem Bauch. Jetzt denken Sie vielleicht, hab‘ ich auch, sogar mehrere. So ging es mir jedenfalls, aber horizontale Falten sind nicht gemeint, sondern vertikale. Der Ab-Crack ist die Linea alba, die nur zwischen äußerst trainierten Bauchmuskeln sichtbar wird – wenn überhaupt. Denn ihre Ausprägung ist ähnlich wie beim Thigh Gap genetisch bedingt und wenn, sieht man sie nur bei ausgeprägtem Untergewicht. Und da hört der Spaß dann auch auf.

Die bisher letzte Stufe des Wahnsinns und nach Expertenmeinung die erste Stufe einer ausgeprägten Magersucht ist der Collarbone. Hier geht es darum, so abzumagern, dass man möglichst viele Münzen auf dem Schlüsselbein balancieren kann. Je dünner und hervorstehender der Knochen, desto mehr Münzen passen darauf. Zahllose Fotos von Challenges im Netz zeigen, wie verbreitet besonders unter jungen Frauen der Wunsch ist, immer dünner zu werden. Hoffentlich verschwinden sie mal nicht ganz.

Im fortgeschrittenen Alter und im letzten Viertel des Zweizentnerbereichs ist es für mich vielleicht leicht darüber abzulästern, und ich kenne eigentlich auch keine Frau, die sich von diesen absurden Schönheitsidealen angesprochen fühlt. Aber wenn wir ehrlich sind, wollen wir alle, fast alle, immer an irgendeiner oder mehreren Stellen unseres Körpers dünner sein. Wir essen mit Genuss und schlechtem Gewissen gleichzeitig. Wenn man mit Frauen essen geht, versichern sich vor der Pizza immer mindestens die Hälfte der Anwesenden, dass das Erste sei, was sie heute essen, und das Letzte in den nächsten Tagen, während die anderen ihr Essen auf dem Tellern hin- und herschieben, weil sie „eigentlich gar keinen Hunger“ haben. Isst man einfach so, also, trotz schlechten Gewissens weiter, sieht man aus wie ich. Wenn wir was essen, überlegen wir noch während wir das tun, wann wir dafür das nächste Mal nichts essen. Neben der Keksdose steht das Abnehmpulver, neben dem Pasta-Kochbuch die gesammelte Brigitte-Diät. Ich glaube, das gilt für die meisten von uns – ganz egal, was für eine Figur wir haben. Als ich so auf Recherche im Netz unterwegs war, fand ich einen Spruch:

Ich wünschte, ich wäre so dick wie ich war, als ich das erste Mal dachte, ich wäre zu dick. Darüber sollten wir nachdenken. Und über noch was: Für Bauch, Beine, Po kann man auch mal Lachsbrötchen, Pfannkuchen und Nutella nehmen.

Quelle: https://www.welt.de/vermischtes/article157713223/Dieses-Foto-zeigt-fragwuerdige-Koerpertrends.html#cs-Woman-in-bikini-bottom-mid-section.jpg / 22.9.2017